14. April bis 25. Oktober 2000
»Über die Wirklichkeit«
Wiederbegegnungen mit Unbekanntem – Teil 15
Die Ausstellung handelt von der Befragung der Wirklichkeit durch Kunst. Kunst zielt auf neue Sichtweisen von Wirklichkeit und bietet damit vielfältige Möglichkeiten von Wirklichkeitsverständnis und Weltsicht. Sie macht Schnittstellen von Vertrautem und Unerwartetem bewusst, von Bekanntem und Vergessenem, von Vorstellbarem und nie Gedachtem und erweitert damit die Grenzen zuvor erfahrener Wirklichkeit; sie deckt Brüche auf, die sich als Ausgrenzungen, Tabuisierungen oder Vereinnahmungen innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges erkennen lassen. Damit schafft Kunst selbst unabhängig Wirklichkeit und liefert zugleich Wege zu ihrer Erfahrbarkeit. – Mittelalterliche Kunst bedient sich, im religiösen wie im profanen Bereich, hierarchischer Strukturen und findet in Symbolik, Allegorie und Typologie eine verlässliche und verbindliche, metaphorische Bildsprache zur Erfassung von Wirklichkeit, aus der lang anhaltende ikonographische Traditionen folgen, wie sie beispielsweise die Vielzahl gotischer Madonnenfiguren belegen. Die zeitgenössische Kunst kennt serielles Arbeiten im Überprüfen der Verlässlichkeit von Gegenständlichkeit als einer Konstanten der objektiven Wirklichkeit. Bei dem Versuch, vertraute Dinge wie eine Schwarzwald-Landschaft, ein Wasserglas, einen Blumentopf, die Farbe Blau oder das Platzieren mehrerer Farben auf einem Blatt Papier im wiederholten Entwurf zu erfassen, werden diese als Spiegelbilder subjektiver Befindlichkeiten und wechselnder Determinanten erfahren. Selbst im noch so minutiösen, unpersönlich-sachlichen Beschreiben eines nachgelassenen Hausrats entgleitet die objektive Verbindlichkeit der Alltagswelt im verräterischen Detail eines individuellen Tonfalls oder subjektiven Bildausschnitts. Mit künstlerischer Logik führt das serielle Arbeiten zur Aufhebung eines Bildmotivs durch Mutation zum gegenstandslosen Ornament und lotet darin Paradigmen von Zwangsläufigkeit und Intuition im kreativen Tun aus. Somit handelt die Ausstellung auch von der Erfindung von Wirklichkeit durch die Kunst, die in jener wie ein Ferment in einem amalgamierenden Kontinuum wirksam ist.
(Buchpublikation)