Kolumba
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Ulrike Surmann
Zur Geschichte des Kölner Diözesanmuseums

Das 1853 vom »Christlichen Kunstverein für das Erzbisthum Köln« gegründete Diözesanmuseum öffnete nur zwei Jahre später erstmals seine Pforten und ist damit neben dem Wallraf-Richartz-Museum die älteste öffentliche Sammlung in der Stadt Köln. Anders als die »Kunst- und Wunderkammern« privater Sammler - seien es nun fürstliche oder bürgerliche - konnte der erst im selben Jahr gegründete Verein auf keine kontinuierlich gewachsene Sammlung zurückgreifen, die auf Grund ihres Umfanges oder ihrer Bedeutung zur geistigen und ästhetischen Bildung dem Volk hätte zugänglich gemacht werden müssen. Vielmehr ging die Museumsgründung aus den Zielen des Vereins hervor. »Der Verein hat vor allem dahin zu wirken, daß die vorhandenen christlichen, insbesondere die kirchlichen Kunstwerke erforscht, erhalten und nöthigenfalls würdig wieder hergestellt werden: so wie daß bei neuen Anlagen und Anschaffungen dieselben in Plan und Ausführung ihrer Bestimmung und dem Geiste der Kirche entsprechen. - Ferner wird er das Studium der Kunstgeschichte und die Aufhellung aller in das Gebiet der kirchlichen Kunst fallenden Fragen möglichst fördern; endlich auch durch Sammlungen, Vorträge und Veröffentlichungen für die Verbreitung eines richtigen Geschmackes und gediegene Kenntnisse Vorkehr treffen. Nicht minder wird er auf Hebung der kirchlichen Dichtkunst und Tonkunst seine besondere Fürsorge richten.« (Neuss 1954) So umfassend waren die Ziele des Vereins formuliert, als er vor allem auf Betreiben des Kölner Weihbischofs Johann Baudri (1804-1893) und seines Bruders, des Malers Friedrich Baudri (1808-1874), 1853 ins Leben gerufen wurde. Vor allem letzterer war ein Vertreter der doktrinären Neugotik und hatte sich intensiv mit den seit der Grundsteinlegung für die Vollendung des Kölner Domes (1842) verstärkt diskutierten Problemen christlicher Kunst auseinandergesetzt. Aus dem Geist der Romantik heraus war es schon in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer Wiedergeburt des gotischen Stils gekommen, dessen »Erhabenheit«, »Phantasie« und »Grenzenlosigkeit« schwärmerisch gerühmt wurden. Anfangs gegen Frankreich gerichteter Nationalismus, später antipreußischer Lokalpatriotismus und vor allem die Sehnsucht nach den vorreformatorischen besseren Zeiten prägten die Gotikrezeption auch in der Epoche der Kölner Domvollendung. Baudri gab seit 1851 das zweiwöchentlich erscheinende Organ für christliche Kunst - das spätere Vereinsblatt - heraus, in dem er vehement für eine Erneuerung christlichen Lebens und christlicher Kunst nach dem alten, vornehmlich gotischen Ideal eintrat. In der Gründungsphase des Museums wurde er darin von dem Kölner Juristen August Reichensperger (1808-1895) unterstützt, der sich für die Domvollendung und den damit verbundenen Zentraldombauverein engagierte, dessen Publikationsorgan er herausgab, und sich in zahlreichen kämpferischen Reden und Veröffentlichungen als Propagandist der Neugotik hervortat. Angestrebt wurde ein christlich-ständischer Staat nach mittelalterlichem Vorbild, in dem die Trennung von Kunst und Handwerk aufgehoben sein sollte. Der einzige nur aus dem Christentum heraus geborene Stil der Gotik galt als allein adäquate Formensprache für die Erreichung und Durchführung dieses Ziels. Die Bindung an das gotische Ideal blieb bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts hinein in den Statuten des »Christlichen Kunstvereins« verankert. Die vom Verein noch im Jahr seiner Gründung beschlossene Einrichtung eines Museums sollte als Instrument für die Verwirklichung dieses Ideals dienen. Als es 1855 in angemieteten Räumen eröffnet wurde, war der Bestand schon erheblich angewachsen. Viele der ausgestellten Textilien z.B. dürften aus dem Besitz des Krefelder Kaplans, des späteren Aachener Kanonikus' und Vorstandsmitglieds Franz Bock (1823-1899) gekommen sein, dem die Erneuerung der textilen Künste sehr am Herzen lag. Auf seinen weiten Reisen als Conservator des Museums hatte er unter anderem zahlreiche mittelalterliche Muster zusammengetragen, indem er aus großen Stoffen kleine Rapporte herausschnitt, was ihm den Namen »Scheren-Bock« eintrug. Neben Textilien und liturgischen Geräten waren vor allem, häufig fragmentierte, Skulpturen Eigentum des Museums. Durch die lokale Tradition vorgegeben, bildete sich in dem eher heterogenen Bestand schnell ein Sammlungsschwerpunkt in der Kölner bzw. niederrheinischen Kunst des Spätmittelalters heraus. Den Grundstock der Präsentation bildeten jedoch Leihgaben von Kirchengemeinden und aus Privatbesitz - wie z.B. die Reliquienschreine aus Deutz und Siegburg oder die Rubensteppiche des Domes -, aus denen Stefan Lochners Madonna mit dem Veilchen als Hauptwerk der Kölner Malerschule herausragte. Kurz zuvor war sie unter erheblichen Übermalungen im Priesterseminar von dem kölnischen Kunsthändler Antoine Brasseur entdeckt, restauriert, mit einem neuen Rahmen versehen und schon in der ersten vom Verein organisierten Ausstellung im Jahre 1854 gezeigt worden. Im Organ für christliche Kunst (1853) ist ihr ein Aufsatz gewidmet, der sie als Dokument mittelalterlicher Frömmigkeit und Gegenstand des Kölner Lokalstolzes feiert - eine in Einfachheit, Schönheit und Wahrheit vollendete, »herrliche Kunstperle« aus der Hoch-Zeit kölnischer Kunst, die dem durch die »ichsüchtige Laune englischen Spleens« und die Verirrungen des französischen Kunstdiktats ausgelösten Schacher wohl durch die Übermalungen entgangen war. Nach zweijähriger Schließung konnte das junge Museum 1860 erneut, nun an festem Ort eröffnet werden. Der Verein hatte das ehemalige Offizialatsgebäude mit der Thomaskapelle südlich des Domes, das zwischenzeitlich zur Zuckerfabrik umgewandelt worden war, erwerben und durch Vorstandsmitglied Vinzenz Statz zum Museum und Versammlungsraum für den Verein umbauen lassen können. Die Aufgaben wurden in Statuten formuliert, die bis 1927 ihre Gültigkeit behielten. Das Museum ist eine »Kunstanstalt, die den Zweck hat:
a) Kunstwerke, Modelle und Nachbildungen guter Kunstwerke, Entwürfe, so wie kunstliterarische Werke anzuschaffen und zum Studium für Künstler und Handwerker nutzbar zu machen;
b) die ihm überwiesenen, dem Cultus (zeitweise oder für immer) nicht mehr dienenden Werke der Kunst und des Kunsthandwerks vor Verderben und Verschleppung zu bewahren;
c) eine permanente Ausstellung alter und neuer Werke der Kunst und des Kunsthandwerks im mittelalterlichen Style einzurichten;
d) den lebenden Künstlern und Handwerkern Gelegenheit zu geben, ihre im mittelalterlichen Style ausgeführten Arbeiten auszustellen.« (Organ 1860). Diese Ausgangssituation bestimmte auch den Charakter der Sammlung. Nicht allein die Bewahrung des häufig von den Kirchengemeinden und unkundigen Pfarrern verkannten Kunstgutes war Anliegen des Museums. Ähnlich wie die späteren Kunstgewerbemuseen sollte es primär als Vorlagensammlung dienen, was auch die Präsentation von Kopien nicht ausschloß, und den zeitgenössischen Künstlern und Handwerkern ein Forum für ihre Produkte bieten. Die Förderung des Handwerks richtete sich gegen die zunehmend marktbeherrschenden Maschinenprodukte, denen die Fähigkeit zur formalen Gestaltung ethischer Qualitäten auf Grund des entindividualisierten Fertigungsprozesses abgesprochen wurde. »Echt und wahr« in Material und Herstellung sollten die neu zu erstellenden Arbeiten sein. Ankäufe zum Aufbau einer permanenten Sammlung waren aus finanziellen Gründen jedoch nicht vorgesehen. Immer wieder geriet der Verein in Geldnot. So war man angewiesen auf das, was in den Kirchen ausrangiert, oder von Privatsammlern zur Verfügung gestellt bzw. als Nachlaß dem Verein vermacht wurde. Entsprechend heterogen stellte sich die Sammlung in den ersten 50 Jahren ihres Bestehens und in Teilen auch heute noch dar. Die jeweils zeitgenössische kirchliche Kunst, einschließlich des Handwerks, hat keine Spuren im Diözesanmuseum hinterlassen. Die von Künstlern und Werkstätten zur Verfügung gestellten Arbeiten waren für den liturgischen Gebrauch bestimmt - d.h. sie wurden zum Kauf angeboten - und waren nicht für Ankauf oder Übernahme seitens des Vereins vorgesehen. Einer Phase nachlassender Aktivitäten - nicht zuletzt durch den Kulturkampf bedingt - wurde durch die Berufung des Kölner Domherrn Alexander Schnütgen (1843-1918) in den Vorstand im Jahre 1875 ein Ende gesetzt. 16 Jahre später löste er den bisherigen, seit der Gründung amtierenden Vereinspräsidenten Weihbischof Johann Baudri ab und blieb mit einer kurzen Unterbrechung bis 1905 im Amt. Ab 1888 gab er die Zeitschrift für christliche Kunst heraus, die das 1873 während des Kulturkampfes eingestellte Organ für christliche Kunst fortführte und sich an Künstler, Klerus und interessierte Laien richtete. Die Berechtigung der Neugotik wurde darin zunehmend in Frage gestellt, auch wenn Schnütgen sich von solchen Äußerungen distanzierte. Der von ihm als Leiter seiner Sammlung bestimmte Fritz Witte (1876-1937) schrieb dort 1912: »Ein neuer Stil war und ist ein mit zwingender Notwendigkeit sich aufdrängendes Ergebnis einer tiefgreifenden Umwälzung...«, so »daß gerade die Forderung, in altem Stile zu arbeiten, eine nicht nur lästige, sondern unerlaubte Fesselung unserer Künstler bedeutet.« Schnütgen selber unterschied streng zwischen sich ständig wandelnder profaner und zu Kontinuität verpflichteter sakraler Kunst. Als Sammler und Kunstkenner machte er sich an die Neuordnung der Sammlung, die er durch Erwerb einiger wichtiger Werke glücklich erweitern konnte. So gelangte im Jahre 1885 eine romanische Kelchkuppa mit typologischen Darstellungen in den Besitz des Museums, die Schnütgen in einem Aufsatz im Jahresbericht des Vereins vorstellte. Ausführlich widmete er sich dort der angewandten Technik der Niello-Einlagen und den Fragen von Datierung und Lokalisierung. Nicht das einzelne Werk war für ihn von Interesse, sondern der in wissenschaftlicher Forschung erschlossene technische und historische Zusammenhang, in den es einzufügen ist. Nach diesen Kriterien stellte er auch seine eigene Sammlung zusammen, die er dem Diözesanmuseum zu stiften bereit war. Doch scheute man die damit verbundenen Verpflichtungen und lehnte ab. Erst die 20er Jahre brachten für das Museum einen grundsätzlichen Wandel. 1919 hatte Fritz Witte, der Direktor des - nun städtischen - Schnütgen-Museums, das »Institut für religiöse Kunst der Stadt Köln« gegründet, mit dessen Hilfe er die sakrale Kunst zu reformieren hoffte. Künstler wie das spätere Vorstandsmitglied des christlichen Kunstvereins Peter Hecker oder Georg Grasegger waren für diese Idee zu begeistern. 1926 wurde das Institut der Kölner Werkschule angegliedert, in der zahlreiche seiner Aufträge auch ausgeführt wurden, z. B. in den Klassen von Jan Thorn Prikker und Dominikus Böhm. Witte wurde nun als Leiter des Institutes von Jakob Eschweiler (1894-1965) abgelöst, der ein Jahr zuvor zum Direktor des Diözesanmuseums ernannt worden war. Während Museumsleitung und Vereinsvorsitz bis dahin in Personalunion verwaltet worden waren, sind sie seit dieser Zeit grundsätzlich voneinander getrennt. Dem Verein für christliche Kunst stand seit 1923 Wilhelm Neuß (1880-1965) vor, der dem Schnütgen-Nachfolger Arnold Steffens (1851-1923) als Präsident gefolgt war. Nicht zuletzt durch die Verbindung von kirchlichen, städtischen und Werkschulfunktionen in der Person Eschweilers geriet die Trennung von sakraler und profaner Kunst ins Wanken. In den 1927 neu formulierten Vereinsstatuten wurde die Bindung an das gotische Ideal schließlich aufgehoben. Zweck des Vereins ist »die Pflege der christlichen bildenden Kunst im Erzbistum Köln, d.h. sowohl die Erhaltung der alten Kunstwerke als auch die Förderung des Kunstschaffens der Gegenwart durch alle geeignet erscheinenden Mittel« und »die Fürsorge für das Erzbischöfliche Diözesanmuseum als Stätte dieser zweifachen Kunstpflege«. (Neuss 1954) Die christliche Kunst befinde sich in einem Wandel, da nun die profane Kunst die sakrale zwinge, ihr zu folgen. In der Liturgie »spricht die unsterbliche Kirche, in der bildenden Kunst aber der vergängliche Mensch.« Daher ist angestrebt, »daß alles Echte und Tiefe, das heute nach Gestaltung ringt, sich offen ausspreche und in dieser Aussprache sich immer mehr läutere.«« (Kunstgabe 1928) Diese fundamentale Änderung hatte jedoch keinerlei Auswirkungen auf den Charakter des Museumsbestandes, der in diesen und den folgenden Jahren erhebliche Zuwächse durch Leihgaben, Ankäufe und Nachlässe erfuhr. Vor allem im Bereich der rheinischen Spätnazarener entstand ein recht umfangreicher neuer Sammlungsschwerpunkt. Doch äußerten sich die neuen Ideen in der von Eschweiler neu konzipierten Aufstellung der Exponate. Während Qualität, ikonographische Besonderheiten, Typengeschichte und lokale Kunsttradition die permanente Ausstellung bestimmten, wurde die zeitgenössische kirchliche Kunst nach wie vor nur temporär präsentiert. Wenn auch das gotische Formideal dabei nicht mehr maßgeblich war, so betrachtete man die Arbeiten dennoch nicht losgelöst vom Mittelalter. Sie standen in enger räumlicher Verbindung z.B. mit der Veilchenmadonna Lochners. Diese jeweils nur kurz dauernden Ausstellungen bestimmten zu einem großen Teil das öffentliche Bild des Diözesanmuseums, das sich heute lediglich fragmentarisch rekonstruieren läßt. Der Jahresbericht von 1928 z.B. erwähnt als Themen nur eines Jahres religiöse Hauskunst, benediktinische Kunst, Entwürfe zu kirchlichen Aufträgen, Paramente und verschiedene in monographischen Präsentationen vorgestellte Künstler. Während des Zweiten Weltkrieges war der größte Teil des Sammlungsbestandes ausgelagert. Lochners Madonnenbild mußte dabei mehrfach umziehen, um vor Hermann Görings Sammeleifer bewahrt zu werden. Beim Großangriff auf Köln im Jahre 1945 wurden das Museumsgebäude und die darin verbliebenen, nicht zu transportierenden Werke zerstört oder stark beschädigt, so daß nach Kriegsende ein neues Quartier gefunden werden mußte. Mit einer Reihe von Ausstellungen an wechselnden Orten, die meistens in Verbindung mit Tagungen des Christlichen Kunstvereins stattfanden, setzten die Museumsaktivitäten wieder ein. Seit 1947 leitete Joseph Hoster (1910-1969) die Geschicke des Museums, der als Sakristanpriester auch die wertvollen Objekte des Domes betreute, zudem Assistent im Erzbischöflichen Bauamt war und auch das Kölner Domblatt herausgab. Nachdem 1953-1963 die permanente Sammlung in dem Gebäude der ehemaligen Privatschule Surmann-Bonne bei St. Gereon eine provisorische Unterbringung gefunden hatte, konnte 1972 unter neuer Leitung das Museum in einem Neubau auf dem alten, nun jedoch der Hohen Domkirche übereigneten Grundstück südlich des Domes wiedereröffnet werden. Dort hatte Hoster schon zum 800jährigen Jubiläum der Übertragung der Dreikönigsreliquien eine Ausstellung zum Meister des Dreikönigenschreines veranstaltet. Sein Nachfolger Walter Schulten (1920-1993) setzte bei der Präsentation der Bestände neue Schwerpunkte mit Exponaten zur Geschichte des Domes und dem Ankauf einer umfangreichen Rosenkranzsammlung, dem 1975 aus Anlaß des 500sten Gründungsjubiläums der Kölner Rosenkranzbruderschaft eine viel beachtete Ausstellung folgte. Mit einer Schenkung von 13 Arbeiten Ewald Matarés hielt schließlich das 20. Jahrhundert Einzug in die Sammlung des Diözesanmuseums. Finanzielle Probleme veranlaßten den Vorstand 1989, das Museum dem Erzbistum zu übertragen, das faktisch schon seit 1972 die Finanzierung gesichert hatte. Der Wechsel der Trägerschaft war Anlaß, über die zukünftige Perspektive des Museums nachzudenken und eine neue Konzeption für die Sammlung und ihre Präsentation zu entwickeln. Stand der Idealismus, der sich einer Gesellschaftsutopie verschrieben hatte, am Anfang der Museumsgeschichte, wurde er in den 20er Jahren von der Suche nach einer neuen Bildsprache abgelöst - Kunst nicht mehr zur Propagierung eines Ideals, sondern als Sprache individueller Prozesse des Denkens und Fühlens. Wohl auch unter dem Eindruck der Kriegsverluste widmete sich das Museum in der Nachkriegszeit vornehmlich dem Bewahren und Dokumentieren des Erhaltenen. Doch kann sich die Aufgabe eines Museums heute in der Konservierung von Zeugnissen der Vergangenheit erschöpfen, die noch dazu aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst sind, diese Vergangenheit also nur verfälschend vermitteln? Vielmehr scheint es an der Zeit zu sein, diese Fragmente als das zu würdigen, was sie sind - Vokabeln einer Sprache, deren durch Sehgewohnheiten verschüttete Fremdheit verstanden werden muß. Die in diesen Sprachfetzen erzählten »Geschichten« sind neu. Sie können sich durch unsere Wahrnehmung erschließen und sind damit Teil der Gegenwart. Diese Aktualität verbindet alte und neue Kunst miteinander. Wiederbegegnung mit Unbekanntem heißt daher seit der Neueröffnung mit einer Ausstellung von Prachthandschriften aus der Biblioteca Vaticana im Oktober 1992 das Konzept, nach dem die eigene, durch Neuerwerbungen und Dauerleihgaben turnusmäßig veränderte Sammlung präsentiert wird. Unter Rückgriff auf die Kriterien Eschweilers werden die alten Bestände punktuell ergänzt, bestehende Schwerpunkte ausgebaut - etwa der kleine, noch von Hoster angelegte Bestand an frühchristlichen Zeugnissen, die Zeichnungen der Düsseldorfer Spätnazarener und bestimmte Bereiche der Volksfrömmigkeit - und empfindliche Lücken in Ansätzen geschlossen. Eine solche klafft zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert, da der Kunstgeschmack des 19. Jahrhunderts sich dem Barock verweigert hatte. Eine wesentliche Erweiterung erfährt das Sammlungskonzept durch die Einbeziehung des 20. Jahrhunderts und vor allem der zeitgenössischen Kunst, die in ausgewählten Beispielen auf Sprache und Inhalt befragt werden soll. Enzyklopädische Vollständigkeit ist - wie für das Mittelalter - in dieser Auswahl nicht angestrebt. Seit 1993 veranstaltet das Museum in Zusammenarbeit mit der Kölner Gesellschaft für Neue Musik unter dem Titel HÖREN/sehen eine Konzertreihe mit Werken zeitgenössischer und außereuropäischer Musik, mit der das Spektrum der Wahrnehmung erweitert wird. Eine Veranstaltungsreihe mit Literaturlesungen und Vorträgen ist ebenfalls in Vorbereitung. Literatur (chronologisch in Auswahl): Organ für christliche Kunst 1851-1873; Jahresberichte des Christlichen Kunstvereins 1853-1921 (bis 1873 im Organ für christliche Kunst); Catalog für die Ausstellung altdeutscher und altitalienischer Gemälde auf dem Kaufhaussaale Gürzenich zu Köln, Köln 1854; Catalog über die im erzbischöflichen Museum befindlichen Kunstgegenstände. Mit kunsthistorischen Notizen, Cöln 1855; Zeitschrift für christliche Kunst 1888-1921;
J. Eschweiler, Das Erzbischöfliche Diözesanmuseum zu Köln, Köln 1924; Kunstgaben des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln (und Bistum Aachen) 1927-1940, 1948 (Krieg und Kunst); J. Eschweiler, Das Erzbischöfliche Diözesanmuseum Köln, Köln 1936; Wilhelm Neuss, Hundert Jahre Verein für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen (Kunstgabe des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen), Mönchengladbach 1954; Verein für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen 1969-1975, 1976-1980; Walter Schulten, Kostbarkeiten in Köln. Erzbischöfliches Diözesanmuseum. Katalog, Köln 1978; Ludwig Gierse, Nur ein Strohfeuer? Das Kölner Diözesanmuseum von 1853-1906, Ms., 1994 (erscheint 1996); Amine Haase, Spuren der Suche und Hoffnung, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 30./31.7.1994, S.37; Reinhard Ermen, Ein spirituelles Haus. Planung und Zukunft des Kölner Diözesanmuseums, in: Kunstforum, Bd.130, Mai-Juli 1995, S.461-463.

Veröffentlicht als Heft 3 in der Reihe "wortwörtlich", Diözesanmuseum Köln, Köln 1995 (vergriffen)

© Diözesanmuseum Köln/ Kolumba/ Ulrike Surmann 1995
Verölffentlichung – auch auszugsweise – nur mit Quellenangabe
 
www.kolumba.de

KOLUMBA :: Texte :: Museumsgeschichte (1995)

Ulrike Surmann
Zur Geschichte des Kölner Diözesanmuseums

Das 1853 vom »Christlichen Kunstverein für das Erzbisthum Köln« gegründete Diözesanmuseum öffnete nur zwei Jahre später erstmals seine Pforten und ist damit neben dem Wallraf-Richartz-Museum die älteste öffentliche Sammlung in der Stadt Köln. Anders als die »Kunst- und Wunderkammern« privater Sammler - seien es nun fürstliche oder bürgerliche - konnte der erst im selben Jahr gegründete Verein auf keine kontinuierlich gewachsene Sammlung zurückgreifen, die auf Grund ihres Umfanges oder ihrer Bedeutung zur geistigen und ästhetischen Bildung dem Volk hätte zugänglich gemacht werden müssen. Vielmehr ging die Museumsgründung aus den Zielen des Vereins hervor. »Der Verein hat vor allem dahin zu wirken, daß die vorhandenen christlichen, insbesondere die kirchlichen Kunstwerke erforscht, erhalten und nöthigenfalls würdig wieder hergestellt werden: so wie daß bei neuen Anlagen und Anschaffungen dieselben in Plan und Ausführung ihrer Bestimmung und dem Geiste der Kirche entsprechen. - Ferner wird er das Studium der Kunstgeschichte und die Aufhellung aller in das Gebiet der kirchlichen Kunst fallenden Fragen möglichst fördern; endlich auch durch Sammlungen, Vorträge und Veröffentlichungen für die Verbreitung eines richtigen Geschmackes und gediegene Kenntnisse Vorkehr treffen. Nicht minder wird er auf Hebung der kirchlichen Dichtkunst und Tonkunst seine besondere Fürsorge richten.« (Neuss 1954) So umfassend waren die Ziele des Vereins formuliert, als er vor allem auf Betreiben des Kölner Weihbischofs Johann Baudri (1804-1893) und seines Bruders, des Malers Friedrich Baudri (1808-1874), 1853 ins Leben gerufen wurde. Vor allem letzterer war ein Vertreter der doktrinären Neugotik und hatte sich intensiv mit den seit der Grundsteinlegung für die Vollendung des Kölner Domes (1842) verstärkt diskutierten Problemen christlicher Kunst auseinandergesetzt. Aus dem Geist der Romantik heraus war es schon in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer Wiedergeburt des gotischen Stils gekommen, dessen »Erhabenheit«, »Phantasie« und »Grenzenlosigkeit« schwärmerisch gerühmt wurden. Anfangs gegen Frankreich gerichteter Nationalismus, später antipreußischer Lokalpatriotismus und vor allem die Sehnsucht nach den vorreformatorischen besseren Zeiten prägten die Gotikrezeption auch in der Epoche der Kölner Domvollendung. Baudri gab seit 1851 das zweiwöchentlich erscheinende Organ für christliche Kunst - das spätere Vereinsblatt - heraus, in dem er vehement für eine Erneuerung christlichen Lebens und christlicher Kunst nach dem alten, vornehmlich gotischen Ideal eintrat. In der Gründungsphase des Museums wurde er darin von dem Kölner Juristen August Reichensperger (1808-1895) unterstützt, der sich für die Domvollendung und den damit verbundenen Zentraldombauverein engagierte, dessen Publikationsorgan er herausgab, und sich in zahlreichen kämpferischen Reden und Veröffentlichungen als Propagandist der Neugotik hervortat. Angestrebt wurde ein christlich-ständischer Staat nach mittelalterlichem Vorbild, in dem die Trennung von Kunst und Handwerk aufgehoben sein sollte. Der einzige nur aus dem Christentum heraus geborene Stil der Gotik galt als allein adäquate Formensprache für die Erreichung und Durchführung dieses Ziels. Die Bindung an das gotische Ideal blieb bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts hinein in den Statuten des »Christlichen Kunstvereins« verankert. Die vom Verein noch im Jahr seiner Gründung beschlossene Einrichtung eines Museums sollte als Instrument für die Verwirklichung dieses Ideals dienen. Als es 1855 in angemieteten Räumen eröffnet wurde, war der Bestand schon erheblich angewachsen. Viele der ausgestellten Textilien z.B. dürften aus dem Besitz des Krefelder Kaplans, des späteren Aachener Kanonikus' und Vorstandsmitglieds Franz Bock (1823-1899) gekommen sein, dem die Erneuerung der textilen Künste sehr am Herzen lag. Auf seinen weiten Reisen als Conservator des Museums hatte er unter anderem zahlreiche mittelalterliche Muster zusammengetragen, indem er aus großen Stoffen kleine Rapporte herausschnitt, was ihm den Namen »Scheren-Bock« eintrug. Neben Textilien und liturgischen Geräten waren vor allem, häufig fragmentierte, Skulpturen Eigentum des Museums. Durch die lokale Tradition vorgegeben, bildete sich in dem eher heterogenen Bestand schnell ein Sammlungsschwerpunkt in der Kölner bzw. niederrheinischen Kunst des Spätmittelalters heraus. Den Grundstock der Präsentation bildeten jedoch Leihgaben von Kirchengemeinden und aus Privatbesitz - wie z.B. die Reliquienschreine aus Deutz und Siegburg oder die Rubensteppiche des Domes -, aus denen Stefan Lochners Madonna mit dem Veilchen als Hauptwerk der Kölner Malerschule herausragte. Kurz zuvor war sie unter erheblichen Übermalungen im Priesterseminar von dem kölnischen Kunsthändler Antoine Brasseur entdeckt, restauriert, mit einem neuen Rahmen versehen und schon in der ersten vom Verein organisierten Ausstellung im Jahre 1854 gezeigt worden. Im Organ für christliche Kunst (1853) ist ihr ein Aufsatz gewidmet, der sie als Dokument mittelalterlicher Frömmigkeit und Gegenstand des Kölner Lokalstolzes feiert - eine in Einfachheit, Schönheit und Wahrheit vollendete, »herrliche Kunstperle« aus der Hoch-Zeit kölnischer Kunst, die dem durch die »ichsüchtige Laune englischen Spleens« und die Verirrungen des französischen Kunstdiktats ausgelösten Schacher wohl durch die Übermalungen entgangen war. Nach zweijähriger Schließung konnte das junge Museum 1860 erneut, nun an festem Ort eröffnet werden. Der Verein hatte das ehemalige Offizialatsgebäude mit der Thomaskapelle südlich des Domes, das zwischenzeitlich zur Zuckerfabrik umgewandelt worden war, erwerben und durch Vorstandsmitglied Vinzenz Statz zum Museum und Versammlungsraum für den Verein umbauen lassen können. Die Aufgaben wurden in Statuten formuliert, die bis 1927 ihre Gültigkeit behielten. Das Museum ist eine »Kunstanstalt, die den Zweck hat:
a) Kunstwerke, Modelle und Nachbildungen guter Kunstwerke, Entwürfe, so wie kunstliterarische Werke anzuschaffen und zum Studium für Künstler und Handwerker nutzbar zu machen;
b) die ihm überwiesenen, dem Cultus (zeitweise oder für immer) nicht mehr dienenden Werke der Kunst und des Kunsthandwerks vor Verderben und Verschleppung zu bewahren;
c) eine permanente Ausstellung alter und neuer Werke der Kunst und des Kunsthandwerks im mittelalterlichen Style einzurichten;
d) den lebenden Künstlern und Handwerkern Gelegenheit zu geben, ihre im mittelalterlichen Style ausgeführten Arbeiten auszustellen.« (Organ 1860). Diese Ausgangssituation bestimmte auch den Charakter der Sammlung. Nicht allein die Bewahrung des häufig von den Kirchengemeinden und unkundigen Pfarrern verkannten Kunstgutes war Anliegen des Museums. Ähnlich wie die späteren Kunstgewerbemuseen sollte es primär als Vorlagensammlung dienen, was auch die Präsentation von Kopien nicht ausschloß, und den zeitgenössischen Künstlern und Handwerkern ein Forum für ihre Produkte bieten. Die Förderung des Handwerks richtete sich gegen die zunehmend marktbeherrschenden Maschinenprodukte, denen die Fähigkeit zur formalen Gestaltung ethischer Qualitäten auf Grund des entindividualisierten Fertigungsprozesses abgesprochen wurde. »Echt und wahr« in Material und Herstellung sollten die neu zu erstellenden Arbeiten sein. Ankäufe zum Aufbau einer permanenten Sammlung waren aus finanziellen Gründen jedoch nicht vorgesehen. Immer wieder geriet der Verein in Geldnot. So war man angewiesen auf das, was in den Kirchen ausrangiert, oder von Privatsammlern zur Verfügung gestellt bzw. als Nachlaß dem Verein vermacht wurde. Entsprechend heterogen stellte sich die Sammlung in den ersten 50 Jahren ihres Bestehens und in Teilen auch heute noch dar. Die jeweils zeitgenössische kirchliche Kunst, einschließlich des Handwerks, hat keine Spuren im Diözesanmuseum hinterlassen. Die von Künstlern und Werkstätten zur Verfügung gestellten Arbeiten waren für den liturgischen Gebrauch bestimmt - d.h. sie wurden zum Kauf angeboten - und waren nicht für Ankauf oder Übernahme seitens des Vereins vorgesehen. Einer Phase nachlassender Aktivitäten - nicht zuletzt durch den Kulturkampf bedingt - wurde durch die Berufung des Kölner Domherrn Alexander Schnütgen (1843-1918) in den Vorstand im Jahre 1875 ein Ende gesetzt. 16 Jahre später löste er den bisherigen, seit der Gründung amtierenden Vereinspräsidenten Weihbischof Johann Baudri ab und blieb mit einer kurzen Unterbrechung bis 1905 im Amt. Ab 1888 gab er die Zeitschrift für christliche Kunst heraus, die das 1873 während des Kulturkampfes eingestellte Organ für christliche Kunst fortführte und sich an Künstler, Klerus und interessierte Laien richtete. Die Berechtigung der Neugotik wurde darin zunehmend in Frage gestellt, auch wenn Schnütgen sich von solchen Äußerungen distanzierte. Der von ihm als Leiter seiner Sammlung bestimmte Fritz Witte (1876-1937) schrieb dort 1912: »Ein neuer Stil war und ist ein mit zwingender Notwendigkeit sich aufdrängendes Ergebnis einer tiefgreifenden Umwälzung...«, so »daß gerade die Forderung, in altem Stile zu arbeiten, eine nicht nur lästige, sondern unerlaubte Fesselung unserer Künstler bedeutet.« Schnütgen selber unterschied streng zwischen sich ständig wandelnder profaner und zu Kontinuität verpflichteter sakraler Kunst. Als Sammler und Kunstkenner machte er sich an die Neuordnung der Sammlung, die er durch Erwerb einiger wichtiger Werke glücklich erweitern konnte. So gelangte im Jahre 1885 eine romanische Kelchkuppa mit typologischen Darstellungen in den Besitz des Museums, die Schnütgen in einem Aufsatz im Jahresbericht des Vereins vorstellte. Ausführlich widmete er sich dort der angewandten Technik der Niello-Einlagen und den Fragen von Datierung und Lokalisierung. Nicht das einzelne Werk war für ihn von Interesse, sondern der in wissenschaftlicher Forschung erschlossene technische und historische Zusammenhang, in den es einzufügen ist. Nach diesen Kriterien stellte er auch seine eigene Sammlung zusammen, die er dem Diözesanmuseum zu stiften bereit war. Doch scheute man die damit verbundenen Verpflichtungen und lehnte ab. Erst die 20er Jahre brachten für das Museum einen grundsätzlichen Wandel. 1919 hatte Fritz Witte, der Direktor des - nun städtischen - Schnütgen-Museums, das »Institut für religiöse Kunst der Stadt Köln« gegründet, mit dessen Hilfe er die sakrale Kunst zu reformieren hoffte. Künstler wie das spätere Vorstandsmitglied des christlichen Kunstvereins Peter Hecker oder Georg Grasegger waren für diese Idee zu begeistern. 1926 wurde das Institut der Kölner Werkschule angegliedert, in der zahlreiche seiner Aufträge auch ausgeführt wurden, z. B. in den Klassen von Jan Thorn Prikker und Dominikus Böhm. Witte wurde nun als Leiter des Institutes von Jakob Eschweiler (1894-1965) abgelöst, der ein Jahr zuvor zum Direktor des Diözesanmuseums ernannt worden war. Während Museumsleitung und Vereinsvorsitz bis dahin in Personalunion verwaltet worden waren, sind sie seit dieser Zeit grundsätzlich voneinander getrennt. Dem Verein für christliche Kunst stand seit 1923 Wilhelm Neuß (1880-1965) vor, der dem Schnütgen-Nachfolger Arnold Steffens (1851-1923) als Präsident gefolgt war. Nicht zuletzt durch die Verbindung von kirchlichen, städtischen und Werkschulfunktionen in der Person Eschweilers geriet die Trennung von sakraler und profaner Kunst ins Wanken. In den 1927 neu formulierten Vereinsstatuten wurde die Bindung an das gotische Ideal schließlich aufgehoben. Zweck des Vereins ist »die Pflege der christlichen bildenden Kunst im Erzbistum Köln, d.h. sowohl die Erhaltung der alten Kunstwerke als auch die Förderung des Kunstschaffens der Gegenwart durch alle geeignet erscheinenden Mittel« und »die Fürsorge für das Erzbischöfliche Diözesanmuseum als Stätte dieser zweifachen Kunstpflege«. (Neuss 1954) Die christliche Kunst befinde sich in einem Wandel, da nun die profane Kunst die sakrale zwinge, ihr zu folgen. In der Liturgie »spricht die unsterbliche Kirche, in der bildenden Kunst aber der vergängliche Mensch.« Daher ist angestrebt, »daß alles Echte und Tiefe, das heute nach Gestaltung ringt, sich offen ausspreche und in dieser Aussprache sich immer mehr läutere.«« (Kunstgabe 1928) Diese fundamentale Änderung hatte jedoch keinerlei Auswirkungen auf den Charakter des Museumsbestandes, der in diesen und den folgenden Jahren erhebliche Zuwächse durch Leihgaben, Ankäufe und Nachlässe erfuhr. Vor allem im Bereich der rheinischen Spätnazarener entstand ein recht umfangreicher neuer Sammlungsschwerpunkt. Doch äußerten sich die neuen Ideen in der von Eschweiler neu konzipierten Aufstellung der Exponate. Während Qualität, ikonographische Besonderheiten, Typengeschichte und lokale Kunsttradition die permanente Ausstellung bestimmten, wurde die zeitgenössische kirchliche Kunst nach wie vor nur temporär präsentiert. Wenn auch das gotische Formideal dabei nicht mehr maßgeblich war, so betrachtete man die Arbeiten dennoch nicht losgelöst vom Mittelalter. Sie standen in enger räumlicher Verbindung z.B. mit der Veilchenmadonna Lochners. Diese jeweils nur kurz dauernden Ausstellungen bestimmten zu einem großen Teil das öffentliche Bild des Diözesanmuseums, das sich heute lediglich fragmentarisch rekonstruieren läßt. Der Jahresbericht von 1928 z.B. erwähnt als Themen nur eines Jahres religiöse Hauskunst, benediktinische Kunst, Entwürfe zu kirchlichen Aufträgen, Paramente und verschiedene in monographischen Präsentationen vorgestellte Künstler. Während des Zweiten Weltkrieges war der größte Teil des Sammlungsbestandes ausgelagert. Lochners Madonnenbild mußte dabei mehrfach umziehen, um vor Hermann Görings Sammeleifer bewahrt zu werden. Beim Großangriff auf Köln im Jahre 1945 wurden das Museumsgebäude und die darin verbliebenen, nicht zu transportierenden Werke zerstört oder stark beschädigt, so daß nach Kriegsende ein neues Quartier gefunden werden mußte. Mit einer Reihe von Ausstellungen an wechselnden Orten, die meistens in Verbindung mit Tagungen des Christlichen Kunstvereins stattfanden, setzten die Museumsaktivitäten wieder ein. Seit 1947 leitete Joseph Hoster (1910-1969) die Geschicke des Museums, der als Sakristanpriester auch die wertvollen Objekte des Domes betreute, zudem Assistent im Erzbischöflichen Bauamt war und auch das Kölner Domblatt herausgab. Nachdem 1953-1963 die permanente Sammlung in dem Gebäude der ehemaligen Privatschule Surmann-Bonne bei St. Gereon eine provisorische Unterbringung gefunden hatte, konnte 1972 unter neuer Leitung das Museum in einem Neubau auf dem alten, nun jedoch der Hohen Domkirche übereigneten Grundstück südlich des Domes wiedereröffnet werden. Dort hatte Hoster schon zum 800jährigen Jubiläum der Übertragung der Dreikönigsreliquien eine Ausstellung zum Meister des Dreikönigenschreines veranstaltet. Sein Nachfolger Walter Schulten (1920-1993) setzte bei der Präsentation der Bestände neue Schwerpunkte mit Exponaten zur Geschichte des Domes und dem Ankauf einer umfangreichen Rosenkranzsammlung, dem 1975 aus Anlaß des 500sten Gründungsjubiläums der Kölner Rosenkranzbruderschaft eine viel beachtete Ausstellung folgte. Mit einer Schenkung von 13 Arbeiten Ewald Matarés hielt schließlich das 20. Jahrhundert Einzug in die Sammlung des Diözesanmuseums. Finanzielle Probleme veranlaßten den Vorstand 1989, das Museum dem Erzbistum zu übertragen, das faktisch schon seit 1972 die Finanzierung gesichert hatte. Der Wechsel der Trägerschaft war Anlaß, über die zukünftige Perspektive des Museums nachzudenken und eine neue Konzeption für die Sammlung und ihre Präsentation zu entwickeln. Stand der Idealismus, der sich einer Gesellschaftsutopie verschrieben hatte, am Anfang der Museumsgeschichte, wurde er in den 20er Jahren von der Suche nach einer neuen Bildsprache abgelöst - Kunst nicht mehr zur Propagierung eines Ideals, sondern als Sprache individueller Prozesse des Denkens und Fühlens. Wohl auch unter dem Eindruck der Kriegsverluste widmete sich das Museum in der Nachkriegszeit vornehmlich dem Bewahren und Dokumentieren des Erhaltenen. Doch kann sich die Aufgabe eines Museums heute in der Konservierung von Zeugnissen der Vergangenheit erschöpfen, die noch dazu aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst sind, diese Vergangenheit also nur verfälschend vermitteln? Vielmehr scheint es an der Zeit zu sein, diese Fragmente als das zu würdigen, was sie sind - Vokabeln einer Sprache, deren durch Sehgewohnheiten verschüttete Fremdheit verstanden werden muß. Die in diesen Sprachfetzen erzählten »Geschichten« sind neu. Sie können sich durch unsere Wahrnehmung erschließen und sind damit Teil der Gegenwart. Diese Aktualität verbindet alte und neue Kunst miteinander. Wiederbegegnung mit Unbekanntem heißt daher seit der Neueröffnung mit einer Ausstellung von Prachthandschriften aus der Biblioteca Vaticana im Oktober 1992 das Konzept, nach dem die eigene, durch Neuerwerbungen und Dauerleihgaben turnusmäßig veränderte Sammlung präsentiert wird. Unter Rückgriff auf die Kriterien Eschweilers werden die alten Bestände punktuell ergänzt, bestehende Schwerpunkte ausgebaut - etwa der kleine, noch von Hoster angelegte Bestand an frühchristlichen Zeugnissen, die Zeichnungen der Düsseldorfer Spätnazarener und bestimmte Bereiche der Volksfrömmigkeit - und empfindliche Lücken in Ansätzen geschlossen. Eine solche klafft zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert, da der Kunstgeschmack des 19. Jahrhunderts sich dem Barock verweigert hatte. Eine wesentliche Erweiterung erfährt das Sammlungskonzept durch die Einbeziehung des 20. Jahrhunderts und vor allem der zeitgenössischen Kunst, die in ausgewählten Beispielen auf Sprache und Inhalt befragt werden soll. Enzyklopädische Vollständigkeit ist - wie für das Mittelalter - in dieser Auswahl nicht angestrebt. Seit 1993 veranstaltet das Museum in Zusammenarbeit mit der Kölner Gesellschaft für Neue Musik unter dem Titel HÖREN/sehen eine Konzertreihe mit Werken zeitgenössischer und außereuropäischer Musik, mit der das Spektrum der Wahrnehmung erweitert wird. Eine Veranstaltungsreihe mit Literaturlesungen und Vorträgen ist ebenfalls in Vorbereitung. Literatur (chronologisch in Auswahl): Organ für christliche Kunst 1851-1873; Jahresberichte des Christlichen Kunstvereins 1853-1921 (bis 1873 im Organ für christliche Kunst); Catalog für die Ausstellung altdeutscher und altitalienischer Gemälde auf dem Kaufhaussaale Gürzenich zu Köln, Köln 1854; Catalog über die im erzbischöflichen Museum befindlichen Kunstgegenstände. Mit kunsthistorischen Notizen, Cöln 1855; Zeitschrift für christliche Kunst 1888-1921;
J. Eschweiler, Das Erzbischöfliche Diözesanmuseum zu Köln, Köln 1924; Kunstgaben des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln (und Bistum Aachen) 1927-1940, 1948 (Krieg und Kunst); J. Eschweiler, Das Erzbischöfliche Diözesanmuseum Köln, Köln 1936; Wilhelm Neuss, Hundert Jahre Verein für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen (Kunstgabe des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen), Mönchengladbach 1954; Verein für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen 1969-1975, 1976-1980; Walter Schulten, Kostbarkeiten in Köln. Erzbischöfliches Diözesanmuseum. Katalog, Köln 1978; Ludwig Gierse, Nur ein Strohfeuer? Das Kölner Diözesanmuseum von 1853-1906, Ms., 1994 (erscheint 1996); Amine Haase, Spuren der Suche und Hoffnung, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 30./31.7.1994, S.37; Reinhard Ermen, Ein spirituelles Haus. Planung und Zukunft des Kölner Diözesanmuseums, in: Kunstforum, Bd.130, Mai-Juli 1995, S.461-463.

Veröffentlicht als Heft 3 in der Reihe "wortwörtlich", Diözesanmuseum Köln, Köln 1995 (vergriffen)

© Diözesanmuseum Köln/ Kolumba/ Ulrike Surmann 1995
Verölffentlichung – auch auszugsweise – nur mit Quellenangabe