Kolumba
Kolumbastraße 4
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»Kultureinrichtungen tragen die aktuellen Schließungen mit. Sie stellen aber die grundsätzlichen Maßstäbe von Politik und Gesellschaft in Frage. | Es ist keine Überraschung: Angesichts des erneuten Lockdowns bringt nun so ziemlich jeder Zweig des gesellschaftlichen Lebens Argumente vor, warum es ungerecht ist, gerade die eigene Einrichtung zu schließen. Der Hotel- und Gaststättenverband etwa kritisiert, es werde ein „Berufsverbot“ ausgesprochen, ein „Sonderopfer“ verlangt, „um einen allgemeinen Lockdown für die Wirtschaft zu verhindern und die Schulen offen zu halten“. Und selbst der „Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen“ ruft alarmiert: „Katastrophe – Bordelle sind nicht die Treiber der Pandemie!“ | All die Aussagen, man habe mit der Ausbreitung der Seuche nichts zu tun, sind jedoch in dieser Form nicht halt- und belegbar, kommentiert der Journalist Christian Rath in der „Badischen Zeitung“. Schließlich habe das Robert-Koch-Institut darauf hingewiesen, dass man zuletzt in drei Viertel aller Corona-Fälle nicht mehr nachvollziehen konnte, wo und wie sich jemand infiziert hat. „Damit ist jeder Branche die Behauptung erschwert, dass sie nur unwesentlich für das Steigen der Fallzahlen verantwortlich sei. Man weiß es eben nicht.“ | Deshalb: Es mag bei den jetzt geltenden Maßnahmen einzelne Probleme und ja, vielleicht auch zweifelhafte Akzentuierungen geben (vgl. auch die „Zeitgänge“ auf S. 503f.). In der Summe und nach Abwägung aller Kriterien scheint diese Form des Lockdowns aber geboten – zum Schutz der Gesundheit aller, gerade der Schwächsten. | Was aber genauso angesagt ist: Diese Zeit als klare Ausnahmesituation zu benennen. Und die Gelegenheit zu nutzen, sich über die Prioritäten zu verständigen, die in der Gesellschaft gelten. Was ist wirklich wichtig? | Mehrere Kultureinrichtungen weisen jetzt (erneut) darauf hin, dass sie sich durchaus als „systemrelevant“ verstehen (vgl. CIG Nr. 31, S. 344). So beklagen etwa die Kuratoren von „Kolumba“, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, „dass sie im politischen Denken keine Rolle spielen“. Erneut würden Museen geschlossen, dieser Schritt in den offiziellen Verordnungen aber nicht einmal eigens thematisiert. „Darf man daraus schließen, dass die Museen zwar als Garnitur eines vergnüglichen Sonntags akzeptiert sind, nicht aber in ihrer politischen Funktion, etwa als Bidlungsinstitution zum Verständnis von Geschichte (auch zur Relativierung von Krisenzeiten), als Identitätsträger einer pluralistischen Gesellschaft oder als Ort des ästhetischen und spirituellen Ausgleichs?“ Die Verantwortlichen sind überzeugt: Als Ort des Austauschs, der Freude, der Hoffnung, des Trostes und der Freiheit würden Museen „dringender benötigt denn je zuvor.“« (sl, Jeder sagt, er ist wichtig – wer ist es wirklich?, Christ in der Gegenwart, 45/2020, 8.11.2020, S.504)

»Corona zwingt zu Abstand, Nähe geht oft – wenn überhaupt – nur digital. Was aber macht das mit uns körperlichen Wesen, wenn unserem Miteinander Diese Dimension fast völlig fehlt? Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, hinterfragt in seiner neuen Ausstellung herkömmliche Körperbilder. Dazu holen die Verantwortlichen ein Jahr lang immer wieder Tanz und Choreografie ins Haus. Den Anfang machte die belgische Künstlerin Anne Terese De Keersmaeker, die mit ihrer Compagnie Rosas ein eigens für Kolumba geschaffenes Stück aufgeführt hat (unser Foto). Ein solcher Dialog der „flüchtigen“ Kunstform Tanz mit dem traditionellen Ort und den jahrhundertealten Werken der Sammlung inspiriert, um über Nähe, Distanz, unsere Wahrnehmung der Welt nachzudenken. (N.N. Der Tanz, die Körper, der vergängliche Augenblick, Christ in der Gegenwart, 44/2020, 27.9.2020)

»Die ständige Lust auf Neues kennzeichnet die Geisteslandschaft des Abendlandes. Daher der Drang zu Entdeckungen, daher die vielen Aufbrüche in Kultur, Kunst, Wissenschaft, Religion, Gesellschaft. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von Neophilie. Aber nicht nur Revoulutionäre, Wanderer und Künstler brechen auf – auch Wunden, die nicht genügend vernarbt oder vernäht sind. „Aufbrüche 1919 49 69ff“, so lautet die Jahresausstellung in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln. | An die Neuerungen des Jahres 1919 von Bauhaus bis Weimar und Versailles wurde im letzten Jahr of erinnert. Kolumba zeigt Werke des Bauhauskünstlers Andor Weininger sowie der Künstler Franz Wilhelm Seiwert, Walter Ophey, Ewald Mataré und anderen, die sich als „Kölner Progressive“, „Junges Rheinland“ und „Rheinische Sezession“ um eine Erneuerung der Kunst in der Nachkriegszeit bemühten. Dank einer Stiftung des Malers Werner Schriefers verfügt das Museum auch über Gebrauchsgegenstände. Dazu erläutert das Textheft: „Wenn wir erstmals den Versuch wagen, mit der in den vergangenen dreißig Jahren gewachsenen Sammlung historische Zeitabschnitte ästhetisch zu vermitteln, sind vom Mittelalter bis zur Moderne und vom Tafelbild bis zur elektrischen Uhr alle Medien gefragt, deren Miteinander Kolumba auszeichnet. Angesichts weltpolitischer Zustände, deren Verfallserscheinungen vor Jahren noch undenkbar gewesen wären, und zunehmend fehlender sozialer, ethischer und ökologischer Verbindlichkeiten blicken wir einhundert Jahre zurück auf unsere Zeit“. | Ein Telefonapparat der Deutschen Reichspost (Modell OB 33) von 1933 erinnert an die neuen Medien der Telekommunikation – Rundfunk, Fernsehen, Telefon -, die das zwanzigste Jahrhundert verändert haben. Es ist ein Nebenstellenapparat mit Kurbelinduktor. Der Phenoplasthörer, der auf der Gabel liegt, wird als Umriss noch heute auf jedem Gerät, mit dem man telefonieren kann, abgebildet. Als grafisches Symbol hat er das Original überlegt. Das Abhören von Telefongesprächen gehörte seit 1933 zu den Praktiken staatlicher Überwachung, heute sammeln Konzerne Daten über unsere Verbindungen, Interessen, Gewohnheiten. | Zu jeder Ausstellung erscheinen kleine Texthefte, die den Besuchern den Rundgang erläutern. Abbildungen, groß gedruckte, hervorragende Aufnahmen, enthalten die gewichtigen (je 2,5 Kilo schweren) Bände „Auswahl eins“ (2007), „Auswahl zwei“ (2010) und „Auswahl drei“ (2019). Sie sind Teil einer bisher fünfzig Ausgaben umfassenden Reihe „Werkhefte und Bücher“. In „Auswahl eins“ wurde der Museumsbau in seinem Fortschreiten von den archäologischen Funden im Boden bis zum Rohbau 2007 dokumentiert und die Sammlung vorgestellt. In „Auswahl zwei“ ging es um den leeren Bau von Peter Zumthor in seinen prägenden Details und um die ersten drei Jahresausstellungen. „Auswahl drei“ veröffentlicht Aufnahmen und Texte zu den Jahresausstellungen 2011 bis 2019. […] Zwar stellen auch andere Museen in kirchlicher Trägerschaft von Rom bis Wien und Würzburg ihre historischen Werke zeitgenössischer Kunst gegenüber, aber keines auf diesem Niveau. Dieser höchste Anspruch wird vom Evangelium gefordert (vgl. die Frage nach dem wichtigsten Gebot in Mt 22,34-40, Mk 12,28-34, Lk 10,25-28). Auch wenn dort nicht von Kunst die Rede ist, können wir unsere größte Sinneskraft das Sehen und das vom Sehen geleitete Bilden, nicht vernachlässigen, wenn es um Gott geht. […] Die Frage nach der Bedeutung des Kreuzes stellt sich überall und jederzeit, nicht nur an Ostern, in Kolumba aber mit anschaulicher Dringlichkeit, weil hier und gerade in dieser Ausstellung der „Aufbrüche“ die Gegenwart so präsent ist. Um zu dem schweigenden Kruzifis zu gelangen, müssen die Besucher den tönenden „Interdiktor“ von Marek Poliks (geboren 1989) passieren, eine Zelthöhle aus Aluminium und Plexiglas, in der 650 Computerlüfter im Chor ihr Lied summen, singen, das gelegentlich zu lautem Brausen anschwillt. Das ist Tonkunst, entwickelt in Zusammenarbeit mit der Biennale für neues Musiktheater in München 2018, eine Grenzüberschreitung zwischen Musik, Bühnenbild, Raum- und Bildkunst, zwischen Science-Fiction und Kunstausstellung. Ein Interdictor (wörtlich: Verbieter) ist nach „Jedipedia“, dem Internet-Lexikon zu den „Star Wars“-Filmen von George Lucas, ein Sternenzerstörer von 1,6 Kilometern Länge, der 37 085 Offiziere, Piloen und Einberufene in den fiktiven Sternenkrieg befördern kann. In der reduzierten Ausführung von Kolumba kann ein Dutzend Menschen darin liegen, hören und schauen. Viele warten geduldig, bis sie hineinkommen, denn das Höhlenzelt und seine geheimnisvollen Klänge faszinieren wie die „Star Wars“-Filme, in denen uralte Mythen und Märchen in die Zukunft projiziert werden. | Auf Initiative des Priesters und Kunstsammlers Fritz Witte, der 1906 – 1937 das Schnütgen-Museum leitete, und des Oberbürgermeisters Konrad Adenauer wurde im Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg das Institut für religiöse Kunst gegründet. Es bestand bis 1933. Als Professoren waren dort unter anderem der Architekt Dominik Böhm, der Goldschmied Ernst Riegel, der Maler Jan Thorn-Prikker sowie der Grafiker und Textilkünstler Ferdinand Nigg tätig. Ihre Arbeiten waren von der liturgischen Bewegung angeregt, verliehen ihr ein künstlerischs Profil. Drei Kelche von Ernst Riegel, zwischen 1922 und 1936 entstanden, erinnern an diese Schule und den liturgischen Aufbruch dieser Zeit. […] Der Keramiker Norbert Prangenberg (1949 – 2012) schrieb 2001: „Schmetterlinge sind die einzigen wilden Tieren, mit denen ich wirklich in Verbindung stand…, wenn ich ganz alt bin, male ich Schmetterlinge, die zwar schön, aber langweilig sind“. Weil sie überraschend aus scheinbar leblosen Puppen fliegen, galten Schmetterlinge als ein Bild für die Auferstehung. Darum konnte in einem Reliquiar mit dieser Form auch ein Kreuzpartikel im Haupt eines gotischen Kruzifixes geborgen werden, 1991 entdeckt im Museum Sankt Ulrich in Regensburg. Im Altgriechischen bezeichnet das Wort psyche sowohl den Atem, die Seele, wie den Schmetterling. Das neugriechische Wort Lepidopteros (Schuppenflügler) wurde erst von Carl von Linné geprägt. Der Ferraresische Maler Dosso Dossi (1490 – 1542) hat den Göttervater Zeus, wie er Schmetterlinge malt und so Seelen ins Leben ruft, ins Bild gesetzt – ein Beispiel von vielen aus der Renaissance für den Vergleich vom schöpferischen Tun Gottes und des Künstlers (Bilder in Krakau und Wien). Dass Künstler sich mit Göttern vergleichen ist heute weniger aktuell. Aber „wer die Wahrheit wissen will, kann keine Antworten geben, sondern nur Fragen stellen“, so Prangenberg.« (Peter B. Steiner, Vom „Interdiktor“ zum schweigenden Kruzifix, in: Christ in der Gegenwart, 14/2020)

»Als in der Zeit der Salonmalerei, des Impressionismus und der Verdi Opern „das Schöne“ als oberstes Kriterium von Kunst aus der Mode kam, wurde „die Qualität“ zum neuen Leitwort der Kunstkritik. Der deutsche Kunsttheoretiker Konrad Fiedler (1841 - 95) bestimmte künstlerische Qualität „als durch die Form vermittelte und zum Ausdruck gebrachte Erkenntnis“. Eine Kunst, „die der Welt eine neue Seite abgewinnt und somit die Welt durch eine neue Art der Anschauung bereichert.“ Die Revolutionäre der modernen Kunst, Franz Marc und Wassily Kandinsky, schrieben und arbeiteten für eine solche Kunst. | Die Neuordnung eines Kunstmuseums ist sicher keine Revolution, hat aber auch das Ziel immer wieder neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu vermitteln. Stefan Kraus, der Kolumba seit 2008 leitet, schreibt dazu: … „vermutlich besteht eine gelungene Ausstellung weniger aus der Anzahl geeigneter Werke als vielmehr aus der Anzahl gelungener Wahrnehmungssituationen bzw. der Versammlung von Zwischenräumen, die den Besucher selbst als Rezipienten erfordern und ihn ernstnehmen.“ „Man macht Kunstausstellungen um in einer von Information, Kommunikation und Ökonomie bestimmten Zeit die notwendigen Zwischenräume zu öffnen, dem Medium Kunst und damit den uneffizienten Anteilen, die unser Leben bestimmen, Raum zu geben.“ Das sind zwei Sätze aus einem ebenso erfahrungsgesättigten wie klarsichtigen Essay von Stefan Kraus, erschienen unter dem Titel „Formate bestimmen Inhalte, Kunstbetrieb, Kunst und Kunstvermittlung“ (Wewerka Archiv, Magdeburg 2016). | Kolumba übernimmt Aufgaben der Weltkirche, erschließt Werke zu Grundfragen unserer Existenz, die auch religiöse Fragen sind. Die Jahresausstellung hat den Titel „ Me in a no-time state Über das Individuum“ Der erste Teil des Titels „Ich in einem Nicht – Zeit – Zustand“ benennt eine Gruppe von 5 Bilder-Diptychen von Chris Newman (geboren 1958, lebt in Berlin), der zweite stellt die Frage nach dem Individuum. Sie sei „brandaktuell“, wie es in der Einführung des kleinen Ausstellungsführers heißt. „Wir erleben in einer erschreckenden Weise, wie die Identifikation des Subjekts mit Geld und Macht immer stärkere soziale Missstände produziert, wie Gewalt und Korruption den Zusammenhalt der Gesellschaften zerstören, wie grundlegende Werte – Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz- in Frage gestellt und eingeschränkt werden.“ | Anlass der Ausstellung war die Restaurierung von vier Steinfiguren vom Grabmal des Dombaumeisters Nikolaus von Bueren, der nach 1445 gestorben ist. Sie zeigen in ihrer wiedergewonnenen farbigen Fassung eine Individualisierung, die man der Entstehungszeit kaum zugetraut hätte. In unseren Abbildungen sind die vier Figuren eines Bildhauers, eines Werkmeisters, eines Steinmetzen und eines Poliers, nebeneinander und das Gesicht des Bildhauers vergrößert zu sehen. Der scharfe Blick eines älteren Mannes mit Doppelkinn, zusammengekniffenen Lippen, rasiert mit starkem Bartwuchs wurde zu Recht für das Plakat der Ausstellung ausgewählt. Er zieht die Blicke der Passanten an, lebendig, herausfordernd. | Individualität als unendliche Variation ist ästhetisch reizvoll; sie spiegelt körperliche und geistige Prozesse, die als principium individuationis seit Aristoteles diskutiert werden und als Frage nach der Freiheit des Willens auch heute ganz verschiedene Antworten findet. Individuelle, das heißt wörtlich: unteilbare – Verantwortung ist eine Grundlage unserer Ethik und unseren Rechts. Mit individuum (Unteilbares) übersetzte Cicero, das atomos des Demokrit. Der junge Goethe nannte es 1771 „das Eigentümliche unseres Ichs“, das „noch kein Philosoph gesehen und bestimmt hat“. Die Münchner „Eres-Stiftung“, die sich dem Dialog von Wissenschaften und Kunst verschrieben hat, drückt es in ihrem Winterprogramm moderner aus: „ICH ist eine EGO-Maschine“.
Die „Kolumba“ – Ausstellung beginnt augenzwinkernd mit einer Sammlung von Spielzeug Robotern, einem Geschenk der Künstlerin Krimhild Becker (1940-2010). Grellbunte Maschinenteile sind zu Figuren montiert, die mal mehr Kindern, mal mehr Ameisen gleichen. Nach der steilen schmalen Treppe, dem größtmöglichen Gegensatz zur Raumverschwendung der Treppenhäuser des Barock oder des Museums Ludwig von 1980, öffnet sich ein dunkler Raum, in dem auf 10 Videostationen 50 Frauen und Männer je eine Stunde lang über das sprechen, was sie bewegt. Zu sehen sind fast nur die Gesichter, zu hören im Kopfhörer Monologe, kaum je von einer Frage unterbrochen. Die zwischen 1996 und 2012 aufgenommenen „Videoportraits“ von Kurt Benning (geboren 1945, lebt in München) ergeben ein Zeitbild, aus der Sicht von Freunden und Bekannten des Künstlers. Noch niemand hat die insgesamt fünfzig Stunden langen Monologe zu Ende hören und sehen können. Nur ein allwissender Gott kann die Fäden entwirren, die allein diese 50 Individuen untereinander, mit der Gesellschaft und ihrer Zeit verknüpfen.
Im zweiten Obergeschoss hat ein einzelner seinen Auftritt, der „Burgtreswitzmensch“, ein Mann, der allein mit seiner Mutter in einer ruinösen Burg am östlichen Rand der Oberpfalz von 1945 bis 1982 lebte. Kurt Benning, der in der Nachbarschaft, in Pleystein, geboren ist, hat ihn als Schüler, Lehrling und Student immer wieder besucht, fasziniert von dieser aus der Welt gefallenen Existenz. Vergangenheit und Verfall sind für Kurt Benning die Schlüssel, die Welt und den einzelnen Menschen zu verstehen und einzudringen in die Tiefe der Zeit. In dem Textplakat, das in der Ausstellung aufliegt, schreibt Kurt Benning. „Eines Tages kam ich in ein altes Schloss, das ich schon als Kind gesehen habe. Dort lebte ein Mann mit seiner alten Mutter. Nachdem meine Besuche häufiger und regelmäßiger geworden waren, sah es so aus, als sollte ich der beiden Sohn werden. Eine Zeit lang spielte ich mit dem Gedanken, mich in einem unbewohnten Trakt des Schlosses einzurichten. Daraus wurde aber nichts, weil ich als „Sohn“ zugleich in den Status eines Gefangenen geraten wäre.“ | Benning, der damals in München und London Malerei studierte, beschränkte sich auf häufige Besuche um zu beobachten, zuzuhören, für die beiden einzukaufen, ein Wappen zu malen und immer wieder zu fotografieren. 76 Schwarzweißfotografien sind ausgestellt, dazu gibt es ein Video, ein Textblatt und Vitrinen mit Relikten von der Burg. | „Die ländliche Bevölkerung ist entweder schwachsinnig oder niederträchtig. Man soll sich mit dem niederen Wahnsinn nicht mehr als nötig auseinandersetzen. Oben im Schloss gibt´s bloß den Himmel, und die Färbung der Luft, die sich am Abend, am Morgen, und den ganzen Tag über draußen vor den Fenstern seit mehr als wer weiß wie lange kaum merklich verändert hat“. Ob das Urteil über das Dorf unter der Burg vom Burgherrn stammt, wird nicht erläutert. Dieser führte eine umfangreiche Korrespondenz mit einer über die ganze Welt verstreute Fachwelt. Hauptsächlich ging es um Flugmaschinen, vor allem um Flugzeuge des Magdeburger Ingenieurs Otto Onigkeit (1878-1958). Fotografien, Filmaufnahmen, Texte, nachgelassene Gegenstände umkreisen das Leben eines zurückgezogenen. Wir erfahren viel über ihn, doch bleibt wesentliches verborgen; das Individuum bleibt uns ein Rätsel. Nach dem Tod des Burgtreswitzmenschen fiel die Burg an die Gemeinde Mosbach. Sie nennt das Anwesen „Schloss Burgtreswitz“, lässt sie renovieren, veranstaltet Burgfestspiele, einen Adventsmartkt und bietet es für allerlei Feste an.
Der „Burgtreswitzmensch“ ist die zweite große Arbeit Kurt Bennings, die „Kolumba“ erwarb und ausstellt. Die erste, „Hinterlassenschaften – Ein deutsches Erbe“, deutete mit einem gesprochenen und gedruckten Inventar die Lebensspuren eines Geschäftsmanns aus Gelsenkirchen in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Damit sind zwei Hauptwerke des Künstlers als Spurensicherer in Museumsbesitz. | „Spurensicherung“ ist nach Günter Metken (1928-2000) „Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung“. Künstler wie Dorothee von Windheim, Christian Boltanski, Nikolaus Lang, Jochen Gerz arbeiten auf diese Weise. Mit Abdrücken, Fotoserien, getragenen Kleidern widmen sie sich dem Gedächtnis der Erdgeschichte, entwurzelter Völker oder einzelner Menschen. „Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke“ heißt es im biblischen Buch der Weisheit. Die Spurensicherer möchten Spuren erhalten und lesbar machen.
Der Franziskaner, Kardinal und Kirchenlehrer Bonaventura (etwa 1220-1274) hat vorgeschlagen, die Welt „als Spur Gottes“ zu lesen. Das fällt uns heute schwer. Nicht jeder Künstler, der „Spuren sichert“ will uns auf die Spur Gottes weisen. Aber alle bringen uns kunstvoll zum Nachdenken über die Welt, das Leben, Gott. Anlässlich der „Kolumba“ – Jahresausstellung „Noli me tangere“ wurde in CIG (Nr.45/2010, S. 506) zum ersten Mal ein Spurenbild von Kurt Benning vorgestellt. Sein zeitkritisches Werk, seine Versuche, dem Fortschritt die Maske der Notwendigkeit (heute meist „Alternativlosigkeit“ genannt) abzureißen, seine schmähenden Reden gegen „Fast Food“, die Herrschaft des Fernsehens, den Leerlauf des Politikbetriebs, das Auslöschen von Geschichte, harrt noch der Aufarbeitung.
Eine Überraschung bietet in „Kolumba“ der Mittelsaal im zweiten Geschoß. Hier sitzen 25 helle Steinfiguren von Heiligen, Propheten und Engeln auf Augenhöhe rund um den Betrachter. Heinrich Parler, Michael von Savoyen und der sogenannte Meister des Glockenschwingers haben sie um 1380 für das Petersportal des Kölner Doms aus Baumberger Sandstein gehauen. Sie saßen ursprünglich in den Bogenläufen (Archivolten) des Portals und wurden dort seit 1978 durch Kopien ersetzt. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen ist wie ein Besuch in der Dombauhütte. Kunstfertigkeit und Aufwand des Kathedralbaus werden hier ganz anschaulich und doch bleibt fast unglaublich, wie sich hier in steiler Kurve ein belebter Himmel über allen, die den Dom durch dieses Portal betreten, wölbt. Die – man ist versucht zu sagen – „lebendigen“ Bausteine dieses Himmels sind hier zu umschreiten, mit den Augen abzutasten. | Zu den ältesten Techniken, mit denen Menschen ihre Individualität betonen, sich von anderen abheben, gehört bis heute der Schmuck. Im Armarium, dem Dunkelraum im ersten Geschoß von „Kolumba“ wird Schmuck gezeigt, wie dort üblich nebeneinander. In 22 tellergroßen Flachvitrinen liegen Schmuckstücke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler neben alten Rosenkränzen, die ebenso zu Gebet und Andacht dienten, wie zum Anschauen und Fühlen. Typisch für die alte Handelsstadt Köln sind Zierlichkeit und Prunk der Andachtsschnüre; ihr ästhetischer Reiz wetteifert mit den Halsketten, Armreifen, Broschen von Beate Eismann, Francesco Pavan, Anna Maria Zanella und anderen. Im Nebeneinander des neuen Schmucks und des alten Andachtsgeräts weitet sich der Blick auf Gold, Religion, Schönheit, Eitelkeit, Handwerk, Geschichte und Gegenwart. Diese Darstellung wirbeln alte, streng zu trennende Einordnungsmaßstäbe kräftig durcheinander. | Als Kurt Benning (und der Autor) um 1968 studierte, war Bewusstseinserweiterung ein magisches Wort, ein künstlerisches Ziel. Joseph Beuys, Wolf Vostell und viele andere arbeiteten daran. Von Timothy Leary und John Lennon verführt suchten viele ihr Bewusstsein durch Drogen zu erweitern. Kolumba erreicht es ohne Drogen einfach durch Gegenüber, Nebeneinander, Zwischenräume. Die Vergleiche bringen neue Einsichten, die nicht belehrend ausformuliert werden sondern Zwischenräume bieten für das Erlebnis von Geschichte, Ewigkeit und Gegenwart.« (Peter Steiner, Das Ich im Zeitlosen, in: Christ in der Gegenwart, 49/2016, S.542–545)

»Wie ein Etrunkener wirkt sein in der Luft hängender Leib. Der Doppelbegriff birth-death, mit dem Paul thek 1971 die Arbeit beschrieb, erinnert sowohl an die Entstehung des Lebens aus dem Wasser wie an den Tod im Wasser. Das der katholischen Theologie entnommene "in excelsis“ (in der Höhe) meint nicht nur das In-der-Höhe-Hängen, sondern zitiert den Gesang der Engel über den Hirten im Lukasevangelium (vgl. 2,14). Dieser Gesang wurde im vierten Jahrhundert zum Gloria-Hymnus in der Sonntagsmesse erweitert. Im Urtext (doxa en hypsistosis theo, gloria in excelsis deo) mein "in excelsis“ das Wohnen Gottes in den höchsten Himmeln. Für den Künstler, der sich wie viele seiner Freunde gegen den Vietnamkrieg engagierte, war die Fortsetzung "und auf Erden Friede den Menschen seiner Gnade, seiner Huld, guten Willens" (das griechische Eudokia ist kaum zu übersetzen) wohl ebenso wichtig. Das kurze lateinische Zitat aus Bibel und Liturgie lenkt die Aufmerksamkeit auf das Motiv des menschlichen Leibes, der unter dem Tisch festgebunden ist. "Und als (das Lamm) das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die hingemordet waren um des Wortes Gottes willen" heißt es in der Offenbarung des Johannes (vgl. 6,9). Ist der Tisch in der Höhe ein Altar auf dem Weg zum Himmel?« (Peter Steiner, Treibgut in der Höhe, in: Christ in der Gegenwart, 65/2013, S.54-55)

»Der Schweizer Architekt Peter Zumthor, der 1996 den Wettbewerb für den Neubau – gegen 166 Konkurrenten – gewonnen hatte, errichtete ein Gebäude, das der sinnlichen Auseinandersetzung mit bildender Kunst dient und nebenher den Faden der europäischen Geschichte von der Römerzeit bis zur Gegenwart aufnimmt. Aber Geschichte wird nicht als Kulturgeschichte fortlaufend erzählt, sondern wirkt durch ihre Denkmäler in Konfrontation mit der Gegenwart. … In dieses zugleich ganz zurückhaltende und vielfältige Gehäuse brachten die Konservatoren die Kunstwerke ein. Kolumba hat das seltene Glück von einer 'Mannfrauschaft' (derzeit fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) geleitet zu werden, in der Mediävistik, Kunstkritik und Ästhetik auf gleich hohem Niveau vertreten sind. Die Auswahl, die Zusammenstellung der Werke und ihre Anordnung ergaben sich im Ausloten der Räume unter Berücksichtigung konservatorischer und sicherheitstechnischer Belange mit dem Ziel, das einzelne Werk bestmöglich erleben zu können. Die so entstandenen Konstellationen sind Sternstunden in der Geschichte des Kunstmuseums, Sternbilder, die vielen zur Orientierung dienen können.« (Peter Steiner, Was ist Kunst? Was ist Andacht?, Christ in der Gegenwart, 21.10.2007)
 
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KOLUMBA :: Kritiken :: Christ in der Gegenwart

»Kultureinrichtungen tragen die aktuellen Schließungen mit. Sie stellen aber die grundsätzlichen Maßstäbe von Politik und Gesellschaft in Frage. | Es ist keine Überraschung: Angesichts des erneuten Lockdowns bringt nun so ziemlich jeder Zweig des gesellschaftlichen Lebens Argumente vor, warum es ungerecht ist, gerade die eigene Einrichtung zu schließen. Der Hotel- und Gaststättenverband etwa kritisiert, es werde ein „Berufsverbot“ ausgesprochen, ein „Sonderopfer“ verlangt, „um einen allgemeinen Lockdown für die Wirtschaft zu verhindern und die Schulen offen zu halten“. Und selbst der „Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen“ ruft alarmiert: „Katastrophe – Bordelle sind nicht die Treiber der Pandemie!“ | All die Aussagen, man habe mit der Ausbreitung der Seuche nichts zu tun, sind jedoch in dieser Form nicht halt- und belegbar, kommentiert der Journalist Christian Rath in der „Badischen Zeitung“. Schließlich habe das Robert-Koch-Institut darauf hingewiesen, dass man zuletzt in drei Viertel aller Corona-Fälle nicht mehr nachvollziehen konnte, wo und wie sich jemand infiziert hat. „Damit ist jeder Branche die Behauptung erschwert, dass sie nur unwesentlich für das Steigen der Fallzahlen verantwortlich sei. Man weiß es eben nicht.“ | Deshalb: Es mag bei den jetzt geltenden Maßnahmen einzelne Probleme und ja, vielleicht auch zweifelhafte Akzentuierungen geben (vgl. auch die „Zeitgänge“ auf S. 503f.). In der Summe und nach Abwägung aller Kriterien scheint diese Form des Lockdowns aber geboten – zum Schutz der Gesundheit aller, gerade der Schwächsten. | Was aber genauso angesagt ist: Diese Zeit als klare Ausnahmesituation zu benennen. Und die Gelegenheit zu nutzen, sich über die Prioritäten zu verständigen, die in der Gesellschaft gelten. Was ist wirklich wichtig? | Mehrere Kultureinrichtungen weisen jetzt (erneut) darauf hin, dass sie sich durchaus als „systemrelevant“ verstehen (vgl. CIG Nr. 31, S. 344). So beklagen etwa die Kuratoren von „Kolumba“, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, „dass sie im politischen Denken keine Rolle spielen“. Erneut würden Museen geschlossen, dieser Schritt in den offiziellen Verordnungen aber nicht einmal eigens thematisiert. „Darf man daraus schließen, dass die Museen zwar als Garnitur eines vergnüglichen Sonntags akzeptiert sind, nicht aber in ihrer politischen Funktion, etwa als Bidlungsinstitution zum Verständnis von Geschichte (auch zur Relativierung von Krisenzeiten), als Identitätsträger einer pluralistischen Gesellschaft oder als Ort des ästhetischen und spirituellen Ausgleichs?“ Die Verantwortlichen sind überzeugt: Als Ort des Austauschs, der Freude, der Hoffnung, des Trostes und der Freiheit würden Museen „dringender benötigt denn je zuvor.“« (sl, Jeder sagt, er ist wichtig – wer ist es wirklich?, Christ in der Gegenwart, 45/2020, 8.11.2020, S.504)

»Corona zwingt zu Abstand, Nähe geht oft – wenn überhaupt – nur digital. Was aber macht das mit uns körperlichen Wesen, wenn unserem Miteinander Diese Dimension fast völlig fehlt? Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, hinterfragt in seiner neuen Ausstellung herkömmliche Körperbilder. Dazu holen die Verantwortlichen ein Jahr lang immer wieder Tanz und Choreografie ins Haus. Den Anfang machte die belgische Künstlerin Anne Terese De Keersmaeker, die mit ihrer Compagnie Rosas ein eigens für Kolumba geschaffenes Stück aufgeführt hat (unser Foto). Ein solcher Dialog der „flüchtigen“ Kunstform Tanz mit dem traditionellen Ort und den jahrhundertealten Werken der Sammlung inspiriert, um über Nähe, Distanz, unsere Wahrnehmung der Welt nachzudenken. (N.N. Der Tanz, die Körper, der vergängliche Augenblick, Christ in der Gegenwart, 44/2020, 27.9.2020)

»Die ständige Lust auf Neues kennzeichnet die Geisteslandschaft des Abendlandes. Daher der Drang zu Entdeckungen, daher die vielen Aufbrüche in Kultur, Kunst, Wissenschaft, Religion, Gesellschaft. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von Neophilie. Aber nicht nur Revoulutionäre, Wanderer und Künstler brechen auf – auch Wunden, die nicht genügend vernarbt oder vernäht sind. „Aufbrüche 1919 49 69ff“, so lautet die Jahresausstellung in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln. | An die Neuerungen des Jahres 1919 von Bauhaus bis Weimar und Versailles wurde im letzten Jahr of erinnert. Kolumba zeigt Werke des Bauhauskünstlers Andor Weininger sowie der Künstler Franz Wilhelm Seiwert, Walter Ophey, Ewald Mataré und anderen, die sich als „Kölner Progressive“, „Junges Rheinland“ und „Rheinische Sezession“ um eine Erneuerung der Kunst in der Nachkriegszeit bemühten. Dank einer Stiftung des Malers Werner Schriefers verfügt das Museum auch über Gebrauchsgegenstände. Dazu erläutert das Textheft: „Wenn wir erstmals den Versuch wagen, mit der in den vergangenen dreißig Jahren gewachsenen Sammlung historische Zeitabschnitte ästhetisch zu vermitteln, sind vom Mittelalter bis zur Moderne und vom Tafelbild bis zur elektrischen Uhr alle Medien gefragt, deren Miteinander Kolumba auszeichnet. Angesichts weltpolitischer Zustände, deren Verfallserscheinungen vor Jahren noch undenkbar gewesen wären, und zunehmend fehlender sozialer, ethischer und ökologischer Verbindlichkeiten blicken wir einhundert Jahre zurück auf unsere Zeit“. | Ein Telefonapparat der Deutschen Reichspost (Modell OB 33) von 1933 erinnert an die neuen Medien der Telekommunikation – Rundfunk, Fernsehen, Telefon -, die das zwanzigste Jahrhundert verändert haben. Es ist ein Nebenstellenapparat mit Kurbelinduktor. Der Phenoplasthörer, der auf der Gabel liegt, wird als Umriss noch heute auf jedem Gerät, mit dem man telefonieren kann, abgebildet. Als grafisches Symbol hat er das Original überlegt. Das Abhören von Telefongesprächen gehörte seit 1933 zu den Praktiken staatlicher Überwachung, heute sammeln Konzerne Daten über unsere Verbindungen, Interessen, Gewohnheiten. | Zu jeder Ausstellung erscheinen kleine Texthefte, die den Besuchern den Rundgang erläutern. Abbildungen, groß gedruckte, hervorragende Aufnahmen, enthalten die gewichtigen (je 2,5 Kilo schweren) Bände „Auswahl eins“ (2007), „Auswahl zwei“ (2010) und „Auswahl drei“ (2019). Sie sind Teil einer bisher fünfzig Ausgaben umfassenden Reihe „Werkhefte und Bücher“. In „Auswahl eins“ wurde der Museumsbau in seinem Fortschreiten von den archäologischen Funden im Boden bis zum Rohbau 2007 dokumentiert und die Sammlung vorgestellt. In „Auswahl zwei“ ging es um den leeren Bau von Peter Zumthor in seinen prägenden Details und um die ersten drei Jahresausstellungen. „Auswahl drei“ veröffentlicht Aufnahmen und Texte zu den Jahresausstellungen 2011 bis 2019. […] Zwar stellen auch andere Museen in kirchlicher Trägerschaft von Rom bis Wien und Würzburg ihre historischen Werke zeitgenössischer Kunst gegenüber, aber keines auf diesem Niveau. Dieser höchste Anspruch wird vom Evangelium gefordert (vgl. die Frage nach dem wichtigsten Gebot in Mt 22,34-40, Mk 12,28-34, Lk 10,25-28). Auch wenn dort nicht von Kunst die Rede ist, können wir unsere größte Sinneskraft das Sehen und das vom Sehen geleitete Bilden, nicht vernachlässigen, wenn es um Gott geht. […] Die Frage nach der Bedeutung des Kreuzes stellt sich überall und jederzeit, nicht nur an Ostern, in Kolumba aber mit anschaulicher Dringlichkeit, weil hier und gerade in dieser Ausstellung der „Aufbrüche“ die Gegenwart so präsent ist. Um zu dem schweigenden Kruzifis zu gelangen, müssen die Besucher den tönenden „Interdiktor“ von Marek Poliks (geboren 1989) passieren, eine Zelthöhle aus Aluminium und Plexiglas, in der 650 Computerlüfter im Chor ihr Lied summen, singen, das gelegentlich zu lautem Brausen anschwillt. Das ist Tonkunst, entwickelt in Zusammenarbeit mit der Biennale für neues Musiktheater in München 2018, eine Grenzüberschreitung zwischen Musik, Bühnenbild, Raum- und Bildkunst, zwischen Science-Fiction und Kunstausstellung. Ein Interdictor (wörtlich: Verbieter) ist nach „Jedipedia“, dem Internet-Lexikon zu den „Star Wars“-Filmen von George Lucas, ein Sternenzerstörer von 1,6 Kilometern Länge, der 37 085 Offiziere, Piloen und Einberufene in den fiktiven Sternenkrieg befördern kann. In der reduzierten Ausführung von Kolumba kann ein Dutzend Menschen darin liegen, hören und schauen. Viele warten geduldig, bis sie hineinkommen, denn das Höhlenzelt und seine geheimnisvollen Klänge faszinieren wie die „Star Wars“-Filme, in denen uralte Mythen und Märchen in die Zukunft projiziert werden. | Auf Initiative des Priesters und Kunstsammlers Fritz Witte, der 1906 – 1937 das Schnütgen-Museum leitete, und des Oberbürgermeisters Konrad Adenauer wurde im Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg das Institut für religiöse Kunst gegründet. Es bestand bis 1933. Als Professoren waren dort unter anderem der Architekt Dominik Böhm, der Goldschmied Ernst Riegel, der Maler Jan Thorn-Prikker sowie der Grafiker und Textilkünstler Ferdinand Nigg tätig. Ihre Arbeiten waren von der liturgischen Bewegung angeregt, verliehen ihr ein künstlerischs Profil. Drei Kelche von Ernst Riegel, zwischen 1922 und 1936 entstanden, erinnern an diese Schule und den liturgischen Aufbruch dieser Zeit. […] Der Keramiker Norbert Prangenberg (1949 – 2012) schrieb 2001: „Schmetterlinge sind die einzigen wilden Tieren, mit denen ich wirklich in Verbindung stand…, wenn ich ganz alt bin, male ich Schmetterlinge, die zwar schön, aber langweilig sind“. Weil sie überraschend aus scheinbar leblosen Puppen fliegen, galten Schmetterlinge als ein Bild für die Auferstehung. Darum konnte in einem Reliquiar mit dieser Form auch ein Kreuzpartikel im Haupt eines gotischen Kruzifixes geborgen werden, 1991 entdeckt im Museum Sankt Ulrich in Regensburg. Im Altgriechischen bezeichnet das Wort psyche sowohl den Atem, die Seele, wie den Schmetterling. Das neugriechische Wort Lepidopteros (Schuppenflügler) wurde erst von Carl von Linné geprägt. Der Ferraresische Maler Dosso Dossi (1490 – 1542) hat den Göttervater Zeus, wie er Schmetterlinge malt und so Seelen ins Leben ruft, ins Bild gesetzt – ein Beispiel von vielen aus der Renaissance für den Vergleich vom schöpferischen Tun Gottes und des Künstlers (Bilder in Krakau und Wien). Dass Künstler sich mit Göttern vergleichen ist heute weniger aktuell. Aber „wer die Wahrheit wissen will, kann keine Antworten geben, sondern nur Fragen stellen“, so Prangenberg.« (Peter B. Steiner, Vom „Interdiktor“ zum schweigenden Kruzifix, in: Christ in der Gegenwart, 14/2020)

»Als in der Zeit der Salonmalerei, des Impressionismus und der Verdi Opern „das Schöne“ als oberstes Kriterium von Kunst aus der Mode kam, wurde „die Qualität“ zum neuen Leitwort der Kunstkritik. Der deutsche Kunsttheoretiker Konrad Fiedler (1841 - 95) bestimmte künstlerische Qualität „als durch die Form vermittelte und zum Ausdruck gebrachte Erkenntnis“. Eine Kunst, „die der Welt eine neue Seite abgewinnt und somit die Welt durch eine neue Art der Anschauung bereichert.“ Die Revolutionäre der modernen Kunst, Franz Marc und Wassily Kandinsky, schrieben und arbeiteten für eine solche Kunst. | Die Neuordnung eines Kunstmuseums ist sicher keine Revolution, hat aber auch das Ziel immer wieder neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu vermitteln. Stefan Kraus, der Kolumba seit 2008 leitet, schreibt dazu: … „vermutlich besteht eine gelungene Ausstellung weniger aus der Anzahl geeigneter Werke als vielmehr aus der Anzahl gelungener Wahrnehmungssituationen bzw. der Versammlung von Zwischenräumen, die den Besucher selbst als Rezipienten erfordern und ihn ernstnehmen.“ „Man macht Kunstausstellungen um in einer von Information, Kommunikation und Ökonomie bestimmten Zeit die notwendigen Zwischenräume zu öffnen, dem Medium Kunst und damit den uneffizienten Anteilen, die unser Leben bestimmen, Raum zu geben.“ Das sind zwei Sätze aus einem ebenso erfahrungsgesättigten wie klarsichtigen Essay von Stefan Kraus, erschienen unter dem Titel „Formate bestimmen Inhalte, Kunstbetrieb, Kunst und Kunstvermittlung“ (Wewerka Archiv, Magdeburg 2016). | Kolumba übernimmt Aufgaben der Weltkirche, erschließt Werke zu Grundfragen unserer Existenz, die auch religiöse Fragen sind. Die Jahresausstellung hat den Titel „ Me in a no-time state Über das Individuum“ Der erste Teil des Titels „Ich in einem Nicht – Zeit – Zustand“ benennt eine Gruppe von 5 Bilder-Diptychen von Chris Newman (geboren 1958, lebt in Berlin), der zweite stellt die Frage nach dem Individuum. Sie sei „brandaktuell“, wie es in der Einführung des kleinen Ausstellungsführers heißt. „Wir erleben in einer erschreckenden Weise, wie die Identifikation des Subjekts mit Geld und Macht immer stärkere soziale Missstände produziert, wie Gewalt und Korruption den Zusammenhalt der Gesellschaften zerstören, wie grundlegende Werte – Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz- in Frage gestellt und eingeschränkt werden.“ | Anlass der Ausstellung war die Restaurierung von vier Steinfiguren vom Grabmal des Dombaumeisters Nikolaus von Bueren, der nach 1445 gestorben ist. Sie zeigen in ihrer wiedergewonnenen farbigen Fassung eine Individualisierung, die man der Entstehungszeit kaum zugetraut hätte. In unseren Abbildungen sind die vier Figuren eines Bildhauers, eines Werkmeisters, eines Steinmetzen und eines Poliers, nebeneinander und das Gesicht des Bildhauers vergrößert zu sehen. Der scharfe Blick eines älteren Mannes mit Doppelkinn, zusammengekniffenen Lippen, rasiert mit starkem Bartwuchs wurde zu Recht für das Plakat der Ausstellung ausgewählt. Er zieht die Blicke der Passanten an, lebendig, herausfordernd. | Individualität als unendliche Variation ist ästhetisch reizvoll; sie spiegelt körperliche und geistige Prozesse, die als principium individuationis seit Aristoteles diskutiert werden und als Frage nach der Freiheit des Willens auch heute ganz verschiedene Antworten findet. Individuelle, das heißt wörtlich: unteilbare – Verantwortung ist eine Grundlage unserer Ethik und unseren Rechts. Mit individuum (Unteilbares) übersetzte Cicero, das atomos des Demokrit. Der junge Goethe nannte es 1771 „das Eigentümliche unseres Ichs“, das „noch kein Philosoph gesehen und bestimmt hat“. Die Münchner „Eres-Stiftung“, die sich dem Dialog von Wissenschaften und Kunst verschrieben hat, drückt es in ihrem Winterprogramm moderner aus: „ICH ist eine EGO-Maschine“.
Die „Kolumba“ – Ausstellung beginnt augenzwinkernd mit einer Sammlung von Spielzeug Robotern, einem Geschenk der Künstlerin Krimhild Becker (1940-2010). Grellbunte Maschinenteile sind zu Figuren montiert, die mal mehr Kindern, mal mehr Ameisen gleichen. Nach der steilen schmalen Treppe, dem größtmöglichen Gegensatz zur Raumverschwendung der Treppenhäuser des Barock oder des Museums Ludwig von 1980, öffnet sich ein dunkler Raum, in dem auf 10 Videostationen 50 Frauen und Männer je eine Stunde lang über das sprechen, was sie bewegt. Zu sehen sind fast nur die Gesichter, zu hören im Kopfhörer Monologe, kaum je von einer Frage unterbrochen. Die zwischen 1996 und 2012 aufgenommenen „Videoportraits“ von Kurt Benning (geboren 1945, lebt in München) ergeben ein Zeitbild, aus der Sicht von Freunden und Bekannten des Künstlers. Noch niemand hat die insgesamt fünfzig Stunden langen Monologe zu Ende hören und sehen können. Nur ein allwissender Gott kann die Fäden entwirren, die allein diese 50 Individuen untereinander, mit der Gesellschaft und ihrer Zeit verknüpfen.
Im zweiten Obergeschoss hat ein einzelner seinen Auftritt, der „Burgtreswitzmensch“, ein Mann, der allein mit seiner Mutter in einer ruinösen Burg am östlichen Rand der Oberpfalz von 1945 bis 1982 lebte. Kurt Benning, der in der Nachbarschaft, in Pleystein, geboren ist, hat ihn als Schüler, Lehrling und Student immer wieder besucht, fasziniert von dieser aus der Welt gefallenen Existenz. Vergangenheit und Verfall sind für Kurt Benning die Schlüssel, die Welt und den einzelnen Menschen zu verstehen und einzudringen in die Tiefe der Zeit. In dem Textplakat, das in der Ausstellung aufliegt, schreibt Kurt Benning. „Eines Tages kam ich in ein altes Schloss, das ich schon als Kind gesehen habe. Dort lebte ein Mann mit seiner alten Mutter. Nachdem meine Besuche häufiger und regelmäßiger geworden waren, sah es so aus, als sollte ich der beiden Sohn werden. Eine Zeit lang spielte ich mit dem Gedanken, mich in einem unbewohnten Trakt des Schlosses einzurichten. Daraus wurde aber nichts, weil ich als „Sohn“ zugleich in den Status eines Gefangenen geraten wäre.“ | Benning, der damals in München und London Malerei studierte, beschränkte sich auf häufige Besuche um zu beobachten, zuzuhören, für die beiden einzukaufen, ein Wappen zu malen und immer wieder zu fotografieren. 76 Schwarzweißfotografien sind ausgestellt, dazu gibt es ein Video, ein Textblatt und Vitrinen mit Relikten von der Burg. | „Die ländliche Bevölkerung ist entweder schwachsinnig oder niederträchtig. Man soll sich mit dem niederen Wahnsinn nicht mehr als nötig auseinandersetzen. Oben im Schloss gibt´s bloß den Himmel, und die Färbung der Luft, die sich am Abend, am Morgen, und den ganzen Tag über draußen vor den Fenstern seit mehr als wer weiß wie lange kaum merklich verändert hat“. Ob das Urteil über das Dorf unter der Burg vom Burgherrn stammt, wird nicht erläutert. Dieser führte eine umfangreiche Korrespondenz mit einer über die ganze Welt verstreute Fachwelt. Hauptsächlich ging es um Flugmaschinen, vor allem um Flugzeuge des Magdeburger Ingenieurs Otto Onigkeit (1878-1958). Fotografien, Filmaufnahmen, Texte, nachgelassene Gegenstände umkreisen das Leben eines zurückgezogenen. Wir erfahren viel über ihn, doch bleibt wesentliches verborgen; das Individuum bleibt uns ein Rätsel. Nach dem Tod des Burgtreswitzmenschen fiel die Burg an die Gemeinde Mosbach. Sie nennt das Anwesen „Schloss Burgtreswitz“, lässt sie renovieren, veranstaltet Burgfestspiele, einen Adventsmartkt und bietet es für allerlei Feste an.
Der „Burgtreswitzmensch“ ist die zweite große Arbeit Kurt Bennings, die „Kolumba“ erwarb und ausstellt. Die erste, „Hinterlassenschaften – Ein deutsches Erbe“, deutete mit einem gesprochenen und gedruckten Inventar die Lebensspuren eines Geschäftsmanns aus Gelsenkirchen in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Damit sind zwei Hauptwerke des Künstlers als Spurensicherer in Museumsbesitz. | „Spurensicherung“ ist nach Günter Metken (1928-2000) „Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung“. Künstler wie Dorothee von Windheim, Christian Boltanski, Nikolaus Lang, Jochen Gerz arbeiten auf diese Weise. Mit Abdrücken, Fotoserien, getragenen Kleidern widmen sie sich dem Gedächtnis der Erdgeschichte, entwurzelter Völker oder einzelner Menschen. „Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke“ heißt es im biblischen Buch der Weisheit. Die Spurensicherer möchten Spuren erhalten und lesbar machen.
Der Franziskaner, Kardinal und Kirchenlehrer Bonaventura (etwa 1220-1274) hat vorgeschlagen, die Welt „als Spur Gottes“ zu lesen. Das fällt uns heute schwer. Nicht jeder Künstler, der „Spuren sichert“ will uns auf die Spur Gottes weisen. Aber alle bringen uns kunstvoll zum Nachdenken über die Welt, das Leben, Gott. Anlässlich der „Kolumba“ – Jahresausstellung „Noli me tangere“ wurde in CIG (Nr.45/2010, S. 506) zum ersten Mal ein Spurenbild von Kurt Benning vorgestellt. Sein zeitkritisches Werk, seine Versuche, dem Fortschritt die Maske der Notwendigkeit (heute meist „Alternativlosigkeit“ genannt) abzureißen, seine schmähenden Reden gegen „Fast Food“, die Herrschaft des Fernsehens, den Leerlauf des Politikbetriebs, das Auslöschen von Geschichte, harrt noch der Aufarbeitung.
Eine Überraschung bietet in „Kolumba“ der Mittelsaal im zweiten Geschoß. Hier sitzen 25 helle Steinfiguren von Heiligen, Propheten und Engeln auf Augenhöhe rund um den Betrachter. Heinrich Parler, Michael von Savoyen und der sogenannte Meister des Glockenschwingers haben sie um 1380 für das Petersportal des Kölner Doms aus Baumberger Sandstein gehauen. Sie saßen ursprünglich in den Bogenläufen (Archivolten) des Portals und wurden dort seit 1978 durch Kopien ersetzt. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen ist wie ein Besuch in der Dombauhütte. Kunstfertigkeit und Aufwand des Kathedralbaus werden hier ganz anschaulich und doch bleibt fast unglaublich, wie sich hier in steiler Kurve ein belebter Himmel über allen, die den Dom durch dieses Portal betreten, wölbt. Die – man ist versucht zu sagen – „lebendigen“ Bausteine dieses Himmels sind hier zu umschreiten, mit den Augen abzutasten. | Zu den ältesten Techniken, mit denen Menschen ihre Individualität betonen, sich von anderen abheben, gehört bis heute der Schmuck. Im Armarium, dem Dunkelraum im ersten Geschoß von „Kolumba“ wird Schmuck gezeigt, wie dort üblich nebeneinander. In 22 tellergroßen Flachvitrinen liegen Schmuckstücke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler neben alten Rosenkränzen, die ebenso zu Gebet und Andacht dienten, wie zum Anschauen und Fühlen. Typisch für die alte Handelsstadt Köln sind Zierlichkeit und Prunk der Andachtsschnüre; ihr ästhetischer Reiz wetteifert mit den Halsketten, Armreifen, Broschen von Beate Eismann, Francesco Pavan, Anna Maria Zanella und anderen. Im Nebeneinander des neuen Schmucks und des alten Andachtsgeräts weitet sich der Blick auf Gold, Religion, Schönheit, Eitelkeit, Handwerk, Geschichte und Gegenwart. Diese Darstellung wirbeln alte, streng zu trennende Einordnungsmaßstäbe kräftig durcheinander. | Als Kurt Benning (und der Autor) um 1968 studierte, war Bewusstseinserweiterung ein magisches Wort, ein künstlerisches Ziel. Joseph Beuys, Wolf Vostell und viele andere arbeiteten daran. Von Timothy Leary und John Lennon verführt suchten viele ihr Bewusstsein durch Drogen zu erweitern. Kolumba erreicht es ohne Drogen einfach durch Gegenüber, Nebeneinander, Zwischenräume. Die Vergleiche bringen neue Einsichten, die nicht belehrend ausformuliert werden sondern Zwischenräume bieten für das Erlebnis von Geschichte, Ewigkeit und Gegenwart.« (Peter Steiner, Das Ich im Zeitlosen, in: Christ in der Gegenwart, 49/2016, S.542–545)

»Wie ein Etrunkener wirkt sein in der Luft hängender Leib. Der Doppelbegriff birth-death, mit dem Paul thek 1971 die Arbeit beschrieb, erinnert sowohl an die Entstehung des Lebens aus dem Wasser wie an den Tod im Wasser. Das der katholischen Theologie entnommene "in excelsis“ (in der Höhe) meint nicht nur das In-der-Höhe-Hängen, sondern zitiert den Gesang der Engel über den Hirten im Lukasevangelium (vgl. 2,14). Dieser Gesang wurde im vierten Jahrhundert zum Gloria-Hymnus in der Sonntagsmesse erweitert. Im Urtext (doxa en hypsistosis theo, gloria in excelsis deo) mein "in excelsis“ das Wohnen Gottes in den höchsten Himmeln. Für den Künstler, der sich wie viele seiner Freunde gegen den Vietnamkrieg engagierte, war die Fortsetzung "und auf Erden Friede den Menschen seiner Gnade, seiner Huld, guten Willens" (das griechische Eudokia ist kaum zu übersetzen) wohl ebenso wichtig. Das kurze lateinische Zitat aus Bibel und Liturgie lenkt die Aufmerksamkeit auf das Motiv des menschlichen Leibes, der unter dem Tisch festgebunden ist. "Und als (das Lamm) das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die hingemordet waren um des Wortes Gottes willen" heißt es in der Offenbarung des Johannes (vgl. 6,9). Ist der Tisch in der Höhe ein Altar auf dem Weg zum Himmel?« (Peter Steiner, Treibgut in der Höhe, in: Christ in der Gegenwart, 65/2013, S.54-55)

»Der Schweizer Architekt Peter Zumthor, der 1996 den Wettbewerb für den Neubau – gegen 166 Konkurrenten – gewonnen hatte, errichtete ein Gebäude, das der sinnlichen Auseinandersetzung mit bildender Kunst dient und nebenher den Faden der europäischen Geschichte von der Römerzeit bis zur Gegenwart aufnimmt. Aber Geschichte wird nicht als Kulturgeschichte fortlaufend erzählt, sondern wirkt durch ihre Denkmäler in Konfrontation mit der Gegenwart. … In dieses zugleich ganz zurückhaltende und vielfältige Gehäuse brachten die Konservatoren die Kunstwerke ein. Kolumba hat das seltene Glück von einer 'Mannfrauschaft' (derzeit fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) geleitet zu werden, in der Mediävistik, Kunstkritik und Ästhetik auf gleich hohem Niveau vertreten sind. Die Auswahl, die Zusammenstellung der Werke und ihre Anordnung ergaben sich im Ausloten der Räume unter Berücksichtigung konservatorischer und sicherheitstechnischer Belange mit dem Ziel, das einzelne Werk bestmöglich erleben zu können. Die so entstandenen Konstellationen sind Sternstunden in der Geschichte des Kunstmuseums, Sternbilder, die vielen zur Orientierung dienen können.« (Peter Steiner, Was ist Kunst? Was ist Andacht?, Christ in der Gegenwart, 21.10.2007)